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Zeitgeschehen
 

Nur fünf Sommer

von Esther Hesse

Gerade erreicht mich die Meldung, dass der Mobilfunkkonzern Ericsson in Schweden vorhat, allen Mitarbeitern über 35 Jahren zu kündigen. Das Durchschnittsalter der Belegschaft sei mit 41 Jahren einfach zu hoch, äußert sich die Personalchefin sinngemäß, es fehlten ihr die unter 30 Jährigen IT-Spezialisten. Bei Ericsson betreffe diese Regelung 17 000 von den 21 000 Mitarbeitern.

Nun sei das Jahr 2010. Man stelle sich einen jungen Menschen vor, sagen wir, er heisst Thomas und ist 19 Jahre alt, hat gerade sein Abitur erfolgreich absolviert. Dann macht er Zivildienst, und ein Jahr später, mit 20 Jahren entscheidet er sich z.B. für ein Informatikstudium. Es interessiert ihn brennend, er will unbedingt in diese Branche.

500 Euro Studiengebühr darf Thomas nun berappen, jedes Semester, aber Konkurrenzkampf und zu knappe Ressourcen – daran hat sich nicht wirklich viel geändert. Man heizt den Konkurrenzkampf unter den Studenten immer noch über verknappte Ressourcen an, das mittels Gebühren eingenommenen Geld versackt woanders, z.B. hat die Verwaltung der Universität nun marmorne Böden und sieht aus wie eine Filiale der Deutschen Bank.

Aber Thomas ist immer noch der Knecht und der Professor der Herr und Gebieter – auch daran hat sich nicht wirklich etwas geändert, denn die Professoren sind immer noch dieselbe Menschenart, wie jene aus den frühen Zeiten der Menschheit, z. B aus dem Jahre 2004, als die Studenten noch Semestergebühren um die 100 Euro zahlten, was irgendwie auch schon damals im Studierendenportemonnaie stets ein mittelgroßes Loch riss.

Nun ist es das Jahr 2018. Thomas ist nun 27 Jahre alt, harte Jahre des Studierens liegen hinter ihm, insgesamt hat er in den 14 Semestern seines randvollgefüllten Master-Studiums alleine 7000 Euro für Studiengebühren berappen müssen. Trotzdem, er hat es geschafft, seinen Universitätsabschluss hat er in der Tasche! Und er ist stolz auf sich.

Um nicht arbeitslos zu sein, hat er sich ein Praktikum bei dem Mobilfunk-Unternehmen, nennen wir es ‚Mobi Dick’ angeln können, um das wird er sehr beneidet von seinen Kommilitonen. Da verschweigt er lieber, dass er auch für dieses Geld berappen musste, denn Mobi Dick stellt nur Praktikanten ein, wenn sie dafür 100 Euro im Monat da lassen. Das war 2005 schon in manchen Konzernen in Großbritannien üblich, und nun ist es in hier eben auch so. Man verspricht ihm, wenn er in dem einjährigen Praktikum erfolgreiche Arbeit leiste, bekomme er anschließend einen Arbeitsvertrag mit Mobi Dick.

Das ganze „verzögert“ sich etwas, aber kaum hat Thomas das 30 Lenze erreicht, bekommt er auch schon einen Arbeitsvertrag, befristet versteht sich, auf drei Jahre. Als er 33 Jahre ist bekommt er plötzlich nur noch einen Vertrag über 1 Jahr, und mit 34 Jahren wieder.

Was Thomas nicht wusste: das Vorbild Ericsson hatte Schule gemacht. Als er sein 35. Lebensjahr erreicht, wir ihm gekündigt. Er sei nun einfach zu alt für diese Firma.

Thomas ist ganz durcheinander, denn er hat inzwischen eine Familie gegründet, und seine Frau hat keine Arbeit, denn Frauen stellt man grundsätzlich nicht ein, weil sie Kinder bekommen können oder weil sie keine Kinder mehr bekommen können, denn dann sind sie zu alt für diese chicen Unternehmen.

Thomas geht zur Arbeitsagentur. „Nein, mit 35, da ist nichts mehr zu machen, tut mir leid!“ sagt ihm der Arbeitsvermittler, der jetzt Jobpilot heisst, weil er Karriere-Bruchlandungen betreut. In diesem Alter sei man auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar. Er könnte es aber mal bei Bauer Meier probieren. Spargelstecher mit Universitätsabschluss seien sehr gefragt, weil sie immer so systematisch vorgingen, so technologisch halt, sagt der Jobpilot und grinst, so dass man seine Zahnlücke sieht. Zähne sind nicht mehr im Katalog der gesetzlichen Krankenkassen, und sie selbst zu bezahlen kann sich ein Jobpilot bei der Arbeitsagentur halt bei dem Einkommen nicht leisten. Er lächelt deshalb nur noch, wenn etwas besonders lustig ist.

Daraufhin erschießt sich Thomas, er hinterlässt Frau und zwei Kinder. Auf seinem Grabstein steht „Er arbeitete und verdiente nur 5 Sommer“. Seine Ehefrau hatte den schwedischen Film „Sie tanzte nur einen Sommer“ sehr geliebt.

P.S.

Die Fernsehmeldung kann unter http://www.zdf.de/ZDFmediathek/inhalt/21/0,4070,3955605-6-wm_1500,00.html angesehen werden.

 

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