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Zeitgeschehen
 

Zusammenhänge – neu gesehen

Doping, Erkenntnis und Gedächtnis ...

von Klaus Buschendorf

Viel zu spät schaltete ich den Fernseher ein. Nur die letzten Worte eines Interviews hörte ich noch: „...ist Doping im Sport nur der allgemeine Ausdruck eines verhängnisvollen Übertreibens von Schneller – Höher – Weiter. Überall in der Gesellschaft sehen wir diese Entartung des sportlichen Prinzips. Und wir Medien müssen uns der Kritik stellen, aus Sorge um die Einschaltquote das Außergewöhnliche zu sehr bevorzugt zu haben in unserer Berichterstattung ...“ So oder ähnlich sprach ein Chefredakteur. Dann endete die Sendung.

Ich hätte sie fast vergessen. In ähnlicher Weise geriet ich in ein Gespräch zur Sicherheit in Deutschland. Noch nie gingen die Verbrechenszahlen mehr zurück als heute, legte ein Experte dar. Doch die „gefühlte“ Sicherheit der Deutschen nimmt das nicht wahr. Umfragen belegen, die Deutschen haben von Jahr zu Jahr mehr Angst vor schweren und leichten Verbrechen, Angst vor Übervorteilungen durch schleierhafte Verträge, vor Behördenwillkür und eigener Ohnmacht in unübersichtlichen Situationen. Auch dieser Experte verwies auf die Berichterstattung und Programmgestaltung in den Medien. Ist das nur bei den Medien so?

„... die Weltbörse ist heute nur noch ein Spielcasino mit angeschlossener Weltwirtschaft ...“ Auch dies ein aufgeschnappter Satz aus einem (selten gesehenen) Fernsehsender. Er ließ mich aufhorchen. Ein alter Historiker hielt eine Vorlesung: „... es geht den Akteuren dort um nichts als Geld, schnell und ohne Arbeit leicht verdientes Geld, das als Elektronenstrom um den Erdball jagt.“ Wie sollen die Wirtschaftsmacher noch den Idealen eines Zeiss, Siemens, Grundig folgen können, wenn die Eigentümer ihrer Betriebe das Produkt ihres Wirkens gar nicht mehr interessiert? Allein der Geldwert (ohne jeden Bezug zum Nutzen für den Käufer, den Menschen, dem „Konsumenten“) ist den Spielern in diesem Weltcasino wichtig. Nach den Fieberkurven ihrer Aktienkurse werden „Volkswirtschaften“ bewertet, ob es „Aufschwung“ gibt, „Wachstum“... Ob es dem Volk gut geht?

Das interessiert jene Spieler nicht. „Ich erschaffe nichts – ich besitze. Und nach meinen Regeln wird gespielt. Das ist die freie Marktwirtschaft“, sagt ein Akteur der Börse im Film „Wallstreet“ von 1988. (www.meudalismus.dr-wo.de/html/inhalt.htm) Und Frau Merkel sagte: „... mehr Freiheit wagen ...“ Meinte sie vielleicht in Wahrheit die Freiheit jenes Weltspielcasinos? Man muss es glauben, will ihre Partei doch alles privatisieren, was den Kommunen heute noch geblieben ist, um für das Wohl ihrer Bürger wirken zu können. „... mehr Egoismus wagen ...“ Sind so ihre Worte nicht besser gesetzt?

„Wie würden Sie Doping bekämpfen?“, fragt ein Reporter eine Sportlegende vergangener Zeiten. „Klare Regeln einführen. Die Grenzen und Strafen von heute sind ein Witz.“ – „Sie waren noch Amateur. Haben Sie gegen Regeln verstoßen?“ – „Ich hatte mal Probleme, weil ich nach Meinung der Offiziellen 60 DM Reisekosten zu viel abgerechnet hatte. Beinahe wäre ich lebenslang gesperrt worden.“ Paavo Nurmi, der finnischen Lauflegende zwischen den beiden Weltkriegen, ist das passiert. So waren die Regeln. Und der Sport blieb sauber. Er besaß klare, strenge Regeln.

Doch heute hat sie der Sport nicht mehr – Doping ist die Folge. Ich behaupte, heute ist unsere ganze Gesellschaft gedopt, weil Regeln ihr suspekt sind. „Schneller – Höher – Weiter“ ist entartet im Sport, in der Berichterstattung, im Geldverdienen. „Das Jahrhundert der Extreme“ hieß jene Vorlesung des Historikers, der von der Weltbörse als Weltspielcasino sprach. Wir leben noch darin.

Aber heute, etwa zwei Jahre später, fordert Frau Merkel strenge Regeln für die Finanzwelt. Späte, aber nicht zu späte Einsicht angesichts der internationalen Finanzkrise. Unterstützen wir sie darin! Doch sind wir uns auch bewusst: Grenzen für die Finanzwelt können nur ein Anfang sein. Und ich erinnere mich: Hat die nicht Einer schon vor langer Zeit gefordert?

Ja, die CDU hatte die Bundestagswahl gerade verloren. Ein neuer „Superminister“ aus den Reihen der SPD forderte eine Reform der Gepflogenheiten in der internationalen Finanzwelt. Und wurde überall verlacht. Allein gelassen von seiner Partei und seinem Kanzler, schmiss er hin. War er der Weise, der seiner Zeit voraus war? Und wurde so zum Deppen seiner Zeit?

Er hielt die Ruhe nicht aus. „Mein Herz schlägt links“, sprach er und kehrte zurück in die Politik  Und ward fortan als „Populist“ gescholten.

Wie konnte er auch warnend die Wahrheit sagen, als sie noch keiner hören wollte?

 

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