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Wirtschaft
 

Personalisierung öffentlichen Eigentums gegen Privatisierung?

Angenommen, alles öffentliche Eigentum würde (insgesamt oder stückweise) in persönliche, nicht übertragbare Titel aufgeteilt: Das verlassene Landschloss ebenso wie der Marktplatz und das Rathaus (d.h.: evtl., sofern es noch öffentlich ist). Betriebe werden als (eine Art?) AGs organisiert – inkl. Eigentümer-Versammlungen, Gewinnausschüttung etc. Eigentümer sollen alle Bürgerinnen der entsprechenden „sozialen Einheit“ sein – in der Kommune sind sie Eigentümer (evtl.) ihrer Müllabfuhr und (noch) Mit-Eigentümerinnen der Landes-Hochschule, der Bundeswehr etc. Dazu müssten für jedermann „personengebundene Anteile“ (eine Art Aktien) definiert werden, die weder verkauft noch vererbt werden können. Ihre Anzahl wäre an die Anzahl der Bürger/innen gebunden: Mit dem Personalausweis bekäme Frau einen entsprechenden Anteil am öffentlichen Eigentum beurkundet. Bei Umzug würde man ggf. Anteile einer anderen Wasserversorgung bekommen, bei Tod hätte man auch keinen Anteil mehr an dem „eigenen Friedhof und könnte ihn zuvor auch nicht jemand anders geben das wäre ein Besitz-Verhältnis, wie man es vom eigenen Ausweis her kennt: Nicht übertragbar, nicht veräußerbar aber „eigen“. Die Anzahl der Anteile wäre identisch mit der Anzahl der gültigen Personalausweise (oder der Stimmberechtigten o.ä.).

Diese Maßnahme würde weiterhin nicht verhindern, dass auch private Ver- und Entsorgungsunternehmen zugelassen werden (GATS sei Dank) wohl aber erschweren, dass die vorhandenen ganz geschlossen oder verkauft (eben: privatisiert vgl. Bahn, Telekom etc.) werden, es sei denn per Aktionärsbeschluss (praktisch: ein Referendum pro Betrieb). Und: Der private Konkurrenzbetrieb (Privat-Polizei, -Müllabfuhr, -Schule, -Sender etc.) müsste von solcher Anziehungskraft (Qualität, Preis, Gewährleistung) sein, dass die Bürger, obwohl Eigentümerinnen, als Konsumenten die Konkurrenz vorzögen: Wenn die öffentliche Polizei in Verruf kommt, lässt man eben den eigenen Laden von den Privaten schützen (etwa gegen Montagsdemonstranten oder Schutzgeld-Kassierer?). Oder: Würgt der Bürger am seinem Burger, holt er sich einen Burger-King o.a..

Natürlich müßte eine (heute schon überfällige) Gleichartigkeit von Betrieben hergestellt werden: Wenn private Bahnen fahren wollen, dann müssen sie auch alle Bahnhöfe anfahren, wenn bundeseigene Busse zur Verfügung stehen, dann auch für lukrative Butterfahrten, wenn Private Post spielen wollen, dann bitteschön mit Briefkästen nicht nur an Ämtern und Konzern-Gebäuden, sondern auch an allen KiTas. Notfalls auch umgekehrt: Die Polizei spaltet sich in (lukrative) Parade-P. und (desolate) Castor-Bewacher-P., Aufträge werden nicht nur für die Rosinen aus dem Arbeitskuchen vergeben. Oder: Die öffentliche Fluggesellschaft transportiert keine Politiker für lau. 

Die lokalen Eignerinnen könnten so z.B. zu dem Schluß kommen, daß die eigene aussterbende Kommune den ungenutzten Kindergarten mit dem wertvollen Mobiliar des ungeliebten (und zuvor fusionierten) kommunalen Bordells versieht, renoviert und dem überfüllten Altenheim verkauft nicht: schenkt, damit im Rahmen des real existierenden Kapitalismus kein Aufschrei aus der privaten Konkurrenz kommt (unlauterer Wettbewerb unter florierenden Altenheimen). 

Interessanter wäre freilich die Möglichkeit, (ab einer gewissen Größe: per Volksentscheid?) zu beschließen, neue öffentliche Betriebe zu gründen: Man könnte damit über Nacht zum kommunalen Mit-Besitzer eines öffentl. Taxi-Unternehmens werden, und damit evtl. zum Konkurrenten des eigenen. Je nach Erfolg des öffentlichen Betriebes könnte man in die Versuchung kommen, das eigene Unternehmen zu verkaufen und selbst als Angestellter zu arbeiten – etwa wie ein Privatdetektiv auf die Idee kommen kann, das eigene Geschäft zu verlassen und in die Kaserne zu ziehen, nachdem per öffentlichem Beschluss das öffentlich geförderte Geschäft im Kosovo und (noch naheliegender) am Hindukusch floriert. Nun könnte man auch per Aktionärsbeschluss durchsetzen, dass die Bundeswehr verkleinert wird oder ausschließlich Gelder für defensive Bewaffnung bewilligt bekommt. 

Klar: Die alte Bundespost lässt sich damit nicht wiederbeleben. Aber man könnte ein weiteres Unternehmen gründen (inkl. Telekommunikation), dessen Briefmarken, Handys und TV-Leitungen bei Post- und Telekom-Aktionären weniger beliebt wären – dafür aber bei allen anderen. Das könnte (vielleicht etwas optimistisch gedacht) auch die Aktien-Werte so beeinflussen, dass der neuere öffentliche den alten privatisierten Betrieb billig (zurück-)kaufen könnte, so dass irgendwann wieder Briefkästen an den alten Plätzen hängen würden, wo jede Oma ihre Postkarte einwerfen kann. (Oder: Wer entscheidet sich schon für eine Klinik, die bis zur eigenen Genesung oder Entbindung geschlossen oder von der öffentlichen Konkurrenz übernommen sein könnte?)

Ein Vorteil eines solchen Volkskapitalismus wäre, dass er sich schon im Kleinsten austesten ließe: Jedem Dorf seine Kommunal-Kneipen-AG! Ein weiterer Vorteil: Politik wird transparenter, wenn alle Bürger zur Kenntnis nehmen müssen, daß eine Landesregierung ein geschichtsträchtiges Gebäude (wegen Asbest o.ä.) einebnet, statt es zu sanieren oder gar, wenn sie ein privates Schloss zur Kultur-Pflege kauft, aufwendig renoviert und an den Eigentümer zurückverkauft oder einfach zurückgibt (Rückgabe vor Entschädigung?).
Oder auch: Wenn schon Studiengebühren nicht zu verhindern sind, könnte eine Landesregierung nicht einfach in die Kasse greifen und daraus Steuergeschenke finanzieren, was allenfalls (als Anschauungsmaterial) mit dem Studium von Politologen und Kriminalisten zu tun hat.
Man könnte nach Einblick in die Bilanzen auch auf die Idee kommen, die Bundeshauptstadt nach Bonn zurückzuholen und die Glaskuppel als Kongreßzentrum, den Schürmann-Bau als Waffen-Ausstellung, Peep-Show oder sonstiges lukratives Geschäft umzugestalten.

Sicher ist auch mit Einwänden zu rechnen wie: Das ist verfassungswidrig, alle Steuerzahler zum Unternehmertum zu zwingen! oder: Das ist doch nichts Neues, jedes Schwimmbad wird so betrieben!. Meine Antwort lautet: Ich bin auch heute zur Finanzierung der Badeanstalt gezwungen. Aber noch nie hat mir einer eine Bilanz zur Genehmigung vorgelegt; nicht einmal einen Wirtschaftsdezernenten konnte ich jemals separat wählen.

Offene Fragen:

...resultieren hauptsächlich daraus, dass hier immer noch kapitalistische Prinzipien der Gewinnmaximierung gelten z. B.:

  • Wie kann man per Satzung sicherstellen (oder ggf. als Bestandteil der Definition einer neuen Betriebsform), daß Minderheiten respektiert werden (Behindertenwerkstatt nicht geschlossen), Preise nicht gegen Löhne ausgespielt werden? (Nur qualifizierte Mehrheiten statt 50%+1 beschlussfähig?)
  • Wie lässt sich ausgleichen, dass arme Studierende in Ländern ohne Studiengebühren, reiche Akademiker in jenen mit vollen Kassen leben wollen? (Ausgleichszahlungen im Rahmen der Bildungspolitik? Studiengebühren für „Fremd[bundes]länder“?)
  • Lässt sich obige Beschreibung als eine der bestehenden Betriebsformen realisieren (AG, GmbH, e.V., GbR, , vielleicht nicht gerade „VEB“...)?
  • Und natürlich das Drängendste:
    Habe ich etwas Wichtiges übersehen? Bin ich dabei, ein „Eigentor“ zu schießen – z.B. dadurch, dass ich Zuschussbetriebe, die mir heilig sind (z.B. Schulen) als solche entlarve und damit (verfrüht) der kapitalistischen Logik aussetze? Verwahrlosen im landeseigenen Betrieb „Jugend-Gefängnis AG“ die Insassen noch mehr, weil nunmehr die Mehrheit der Eigentümer (= Wähler) Wege zur Einsparung von Erziehungselementen entdeckt? Aber ist das nicht ohnehin schon der Fall? 

Oder ganz platt: Welcher Teil dieser Gedanken lässt sich vorteilhaft realisieren?

Aris Christidis, 24.10.2004
aris@computer.org

 

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