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Strategiediskussion
 

Kapitalismus – ein Gesellschaftsmodell stößt an seine Grenzen!

Roland Spitzer

Januar 2009

Wer die Entwicklungsgeschichte der Menschheit verstehen will, ist angehalten, die parallel dazu verlaufende Geschichte der Produktionsformen zu analysieren. Nur mit dieser Analyse wird es Interessierten gelingen, die gegenwärtigen Entwicklungen nachzuvollziehen, und im historischen Kontext einzuordnen.

Mir ist bewusst, dass es im Laufe der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung viele unterschiedliche Etappen gab. Doch ist es nicht meine Absicht, eine wissenschaftliche Abhandlung zu erstellen. Das wurde schon vielfach getan, und kann an anderer Stelle genauer betrachtet werden.

Gegenwärtig werden Befürworter des kapitalistischen Wirtschaftssystems nicht müde, uns zu versichern, dass dieses System das in der bisherigen Geschichte effizienteste Gesellschaftsmodell war und ist, sowie dauerhaften Bestand haben wird. Doch solch einem Irrglauben unterlagen auch die Feudalherren und der Adel am Ende der Agrargesellschaft.

Dennoch trug die Agrargesellschaft – zumindest in Europa – wesentlich dazu bei, dass die Menschen nicht mehr Hunger leiden mussten. Die Agrarproduktion wurde sogar so effektiv, dass ein Überschuss erwirtschaftet, und diese Agrarprodukte exportiert wurden. Als Relikt der Anstrengungen zum Erhalt der Agrargesellschaft existieren heute noch Förderprogramme zur Unterstützung der Agrarproduktion. Diese Programme sind dann notwendig, wenn es gilt, die Versorgung der eigenen Bevölkerung zu sichern! Diese sind jedoch kontraproduktiv, wenn mit Hilfe subventionierter Produkte andere Märkte erschlossen werden, und in Folge dessen, in diesen Ländern die Agrarproduktion zusammen bricht. Hier ist eine grundsätzliche Neuausrichtung erforderlich!

Die Agrargesellschaft verlor im Zuge der Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft zunehmend an Bedeutung. Dies konnte insbesondere auch deshalb geschehen, da der Kapitalismus durch seine Erfindungen einen wesentlichen Beitrag zur Steigerung der Effizienz der landwirtschaftlichen Produktion leistete. Im Ergebnis dieser Entwicklung war es nun nicht mehr nötig, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung in der landwirtschaftlichen Produktion tätig ist. Viele Menschen konnten sich damals nicht vorstellen, dass man zur Sicherung des eigenen Lebensunterhaltes nicht mehr auf dem Feld, oder im Stall arbeiten musste. Seit Generationen hat man mit der Hacke in der Hand ein wenn auch karges Leben gefristet. Trotz einer langen Entwicklungsgeschichte der kapitalistischen Gesellschaft waren erst 1890 in Deutschland mehr Menschen in der Industrie, als in der Landwirtschaft tätig.

Gleichzeitig trug die verbesserte Ernährungssituation dazu bei, dass die Kindersterblichkeit sank und die Bevölkerung älter wurde, was zu einem für die damalige Zeit dramatischen Bevölkerungswachstum führte. Es stand auf einmal ein Heer an Menschen zur Verfügung, welches theoretisch ernährt werden konnte, aber nicht zur Gewinnmaximierung zu gebrauchen, und damit überflüssig war. Erst als man erkannte, dass diese Menschen einige Arbeiten billiger erledigen konnten, als dies mit den damaligen Maschinen möglich war, wurden diese auch wieder für die Wirtschaft interessant.

So erwuchs ein Heer von Arbeitskräften, welches 12 und mehr Stunden am Tag schuftete, jedoch mit dem erzielten Einkommen nicht in der Lage war, die eigene Familie ausreichend zu versorgen. Nicht selten lebten 8 bis 10 Menschen in zwei kleinen Zimmern unter katastrophalen hygienischen Verhältnissen. Meist waren dies ungelernte, bzw. schlecht ausgebildete Arbeiterinnen und Arbeiter. Marx nannte diese Menschen das Proletariat. Menschen welche nichts weiter zu verlieren haben als ihre Fesseln. Seinerzeit bestand das Heer dieser Beschäftigten, oder der gerade im Wartestand verfügbaren wohl wirklich aus häufig gering ausgebildeten Menschen, welche nicht einmal lesen und schreiben konnten.

Dieses Bild wird uns auch heute gerne vermittelt. Und das von Politikern, welche sich nicht einmal bemühen, auf vorhandene Daten zurück zu greifen. Denn nach einer Anfrage bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg liegen aktuell keinerlei überprüfbare Daten zum Qualifizierungsniveau der Arbeitslosen vor! Wie Aussagen zustande kommen, dass es zu wenig Ingenieure, bzw. qualifizierte Arbeitslose in unserem Land gibt, ist für mich deshalb nicht nachvollziehbar!

Das Proletariat ist in unserer Zeit nicht mit dem von Marx beschriebenen identisch. Es sind nicht mehr nur die schlecht ausgebildeten Menschen, welchen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben verwehrt wird. Vielmehr sind es Menschen aus allen Bildungsschichten, welche vom Leben in dieser Gesellschaft ausgeschlossen werden.

Der Ausschluss geschieht nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, also global. Diese global gleichartige Ausgrenzung der Menschen führt dazu, dass das Leid, welches die ausgestoßenen Menschen in der westlichen Welt erfahren müssen doch sehr ähnlich ist. Ob in Griechenland, Australien, Island, oder Deutschland, alle von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgegrenzten Menschen teilen ein sehr ähnliches Schicksal, was dazu führt, dass das Verständnis für die Probleme nicht mehr von lokalen Besonderheiten verzerrt, sondern global als Problem gleicher Art angesehen wird. Hierin liegt eine Chance der Globalisierung. Die Menschen, welche von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen wurden, und dem „Proletariat“ angehören, können viel leichter ihre Interessen bündeln, und global handeln. Dies ist jedoch nur eine Chance. Ob diese auch genutzt werden wird, ist noch nicht abzusehen.

Der Kapitalismus ist uns bislang in verschiedenen Formen begegnet. Eine Übergangsphase zwischen Feudalismus und Kapitalismus war der Frühkapitalismus. Hier wurden die Handelsbeziehungen intensiviert, neue Produkte nach Europa eingeführt, aber auch neue Märkte durch Kolonialisierung erschlossen. Gleichzeitig wurden die finanziellen Grundlagen zur weiteren Entwicklung des Kapitalismus, mit der Entwicklung des Bankensystems gelegt. Die Medici in Italien oder die Fugger aus Augsburg seien hier als Beispiele genannt.

Zu dieser Zeit existierten Feudalismus und Kapitalismus in Europa noch als gleichrangige Gesellschaftsmodelle nebeneinander. Doch legte der Frühkapitalismus die Grundlagen, welche dem Kapitalismus mit Anbruch der Moderne dazu verhalfen, mehr und mehr zum dominierenden Gesellschaftsmodell zu werden.

Als dominierendes Gesellschaftsmodell konnte der Kapitalismus nun seiner historischen Aufgabe, der Entwicklung der materiellen Produktion gerecht werden. Es ist sicher unstrittig, dass diese Aufgabe auch sehr erfolgreich gelöst wurde. Heute sind wir in der Lage, viele Tätigkeiten, welche früher mühselig durch Menschenhand erledigt werden mussten von Maschinen durchführen zu lassen. Viele Erfolge konnten verbucht werden. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Erfolge auf dem Gebiet der Medizin. Heute werden die Menschen viel älter, und es können Krankheiten behandelt werden, an denen Menschen früherer Generationen unweigerlich sterben mussten.

Dabei sei aber auch nicht der Preis vergessen, welchen unsere Vorfahren weltweit für uns gezahlt haben. Das kapitalistische Modell überzog im Laufe seiner Entwicklung die Menschheit mit einer gewaltigen Blutspur. In den Kolonien wurden die Menschen abgeschlachtet, in den Mutterländern des Kapitalismus starben die Menschen an Erschöpfung. Zwei Weltkriege, und unzählige regionale Kriege bis in unsere heutige Zeit sind das Ergebnis dieses Gesellschaftsmodells. Solch ein System als Erfolgsmodell zu präsentieren, verbieten mir meine ethischen Überzeugungen!

Dennoch eröffnete dieses Gesellschaftsmodell vielen Menschen auch persönliche Chancen. Vorausgesetzt, diese haben das ökonomische Grundgesetz dieses Systems verinnerlicht: Ein bedeutsames Vermögen kann nur dann angehäuft werden, wenn andere Menschen für einen arbeiten. In Zeiten einer mäßigen Industrialisierung funktionierte dies auch gut. Menschen konnten ausgebeutet, und der erwirtschaftete Mehrwert eingestrichen werden. Das hierfür notwendige Kapital wurde oft durch kriegerische Handlungen beschafft. Eine Blüte erlebte der deutsche Kapitalismus in der Gründerzeit. Hier wurden Reparationszahlungen aus dem deutsch / französischen Krieg von 1870/1871 dazu verwandt, Unternehmen in Deutschland zu gründen. Während dieser Zeit entstanden Unternehmen, wie beispielsweise Krupp.

Unternehmen wurden gegründet, und bescherten den Gründern auch satte Gewinne. Doch waren diese Unternehmer mit den erzielten Gewinnen nicht mehr zufrieden, und sie suchten nach Möglichkeiten, diese zu maximieren. Es wurden Forschungsabteilungen, eingerichtet, welche nach Wegen suchen sollten, die teure menschliche Arbeit zu ersetzen. Im Ergebnis dieser Arbeit wurden Maschinen und Roboter entwickelt, welche zunehmend die menschliche Arbeit übernahmen. Als ein Beispiel möchte ich die Konstruktionsbüros nennen. Da gab es in jedem größerem Büro 20 oder 30 technische ZeichnerInnen. Das war ein eigenständiger Lehrberuf. Nach der Einführung von CAD Systemen wurde dieser Beruf nahezu überflüssig, so dass dieser als eigenständiger Erwerbszweig kaum noch existent ist.

Man investierte in diese kapitalistischen Unternehmen. Um an Kapital zu kommen, wurden immer mehr Aktiengesellschaften gegründet, welche durch ihre Geschäftstätigkeit eine hohe Rendite versprachen. Doch führte die Arbeit dieser Unternehmen auch dazu, dass ursprüngliche Profitquellen des kapitalistischen Systems zum erliegen kamen. Maschinen übernahmen weite Teile der Produktion, was dazu führte, dass die eigentliche Profitquelle des Kapitalismus, die Ausbeutung des Menschen im klassischen Sinn zum erliegen kam. Immer weniger Menschen konnten ausgebeutet werden!

Hier war einfach nicht mehr genug Geld zu verdienen. So wurde nicht mehr in herkömmliche Unternehmen, welche sich mit der Entwicklung und dem Vertrieb von Produkten beschäftigten, investiert. In diesen waren schon zu wenig Menschen beschäftigt, welche ausgebeutet werden konnten.

Wenn Gewinne nicht mehr auf die herkömmliche Weise erzielt werden konnten, mussten neue Wege zur Gewinnmaximierung beschritten werden. Hier setzten sich drei Strategien durch:

  1. Die Ausplünderung bestehender Unternehmen!
  2. Die Ausplünderung staatlicher und kommunaler Ressourcen!
  3. Die Schaffung alternativer Finanzprodukte zur Gewinnmaximierung!

Im ersten Fall gründeten sogenannte Finanzinvestoren (gerne auch Heuschrecken genannt) Gesellschaften, welche es sich zum Ziel setzten solvente, also zahlungsfähige Unternehmen aufzukaufen, und diese nach dem Prinzip der Gewinnmaximierung zu filettieren. Hierfür werden angeblich externe Beratungsunternehmen (die Eigner dieser Unternehmen sind in der Regel mit denen der Finanzinvestoren identisch) für ein gigantisches Honorar engagiert, um eine Unternehmensanalyse zu erstellen. Zur Bezahlung dieser Leistungen wird die bestehende Liquidität der aufgekauften Unternehmen herangezogen und neue Kredite aufgenommen, mit deren Rückzahlung diese dann belastet werden. Lukrative Unternehmensbereiche werden gewinnbringend verkauft, und Arbeitsplätze, welche nicht automatisiert werden können, jedoch in anderen Ländern geringer entlohnt werden, verlagert man in diese Länder. Abteilungen zur Produktentwicklung werden entweder ganz geschlossen, oder auf ein unabdingbares Minimum reduziert. Am Ende dieses Prozesses, kann man nur noch das Resümee ziehen, das unter dem Aspekt der Gewinnmaximierung Entwicklungspotentiale vernichtet, und gut ausgebildete Fachkräfte auf das Abstellgleis geschoben wurden. Somit geht über Jahrzehnte aufgebautes Know How verloren, welches später wieder mühevoll aufgebaut werden muss.

Im zweiten Fall werden kommunale und Leistungen zur Daseinsvorsorge privatisiert. Angeblich sollen private Unternehmen in der Lage sein, Leistungen günstiger zu erbringen, als dies Kommunen können. Wie kann die Müllabfuhr privat günstiger durchgeführt werden? Insbesondere dann, wenn das beauftragte Unternehmen auch noch Gewinne erwirtschaften möchte, und die Geschäftsführer dieser sicher auch nicht ohne Entlohnung arbeiten. Um dies zu erreichen, muss eingespart werden. Zunächst bei den Löhnen – hier werden meist MitarbeiterInnen zu geringeren Löhnen eingestellt. Als weitere Maßnahme kann die Laufzeit der Fahrzeugflotte verlängert werden – so lange, bis die Flotte technisch zusammenbricht. Dann werden die Privatunternehmen nicht gewillt sein, neue Investitionen vorzunehmen, und Konkurs anmelden. Im Ergebnis bricht die Müllabfuhr zusammen, und die Kommunen werden gezwungen sein, diese Leistungen teuer wieder neu aufzubauen. Die Gewinne sind verschwunden, und die BürgerInnen werden statt sinkender, noch höhere Gebühren zahlen müssen. Das gilt für alle Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge.

Schließlich schuf man ähnlich den Computerspielen eine virtuelle Welt. Eine Welt von „intelligenten“ Finanzprodukten, welche sämtlich nur auf Spekulationen beruht. Menschen, welche nie in der Lage waren, Kredite aufzunehmen, wurden diese verkauft, um den vermeintlichen Anlegern ein Wirtschaftswachstum vorzugaukeln. So wurden vermeintliche Erfolge inszeniert, und an Dritte weiter verkauft.

Dieser angebliche Konsum wurde als Wirtschaftswachstum verkauft – ein Wachstum, welches es so nicht mehr geben konnte. Im Ergebnis dieser Spekulationen brach die Finanzkrise aus, in deren Folge eine nachhaltige Rezession zu erwarten ist.

Dennoch wird uns Wachstum als Allheilmittel für unsere Gesellschaft verkauft. Man wird nicht müde, uns den Konsum als oberste Pflicht eines jeden Bürgers zu suggerieren – als gäbe es nicht auch andere Alternativen zur Lebensführung! Gleichzeitig wurden Millionen Menschen in unserem Land auf ein existenzielles Minimum gedrängt, welches es ihnen überhaupt nicht erlaubt, mehr, als das lebensnotwendige zu konsumieren.

Hier führt sich das kapitalistische System selbst ad absurdum! Kaufen ohne Geld geht nicht! Unternehmen ausplündern geht nur eine begrenzte Zeit!

Der Kapitalismus wird nicht verschwinden, doch er wird seine Rolle als dominantes Gesellschaftsmodell verlieren.

Vor uns stehen andere Probleme, welche dringend gelöst werden müssen. Von besonderer Bedeutung sind eine nachhaltige Energieversorgung, sowie eine Umweltpolitik, welche es unseren nachfolgenden Generationen überhaupt erst ermöglichen, ein menschenwürdiges Dasein zu führen.

Was wir wirklich brauchen, sind Denkansätze zu einem Wirtschaftssystem, welches wirkliche Alternativen bildet! Dazu sind unsere heutigen Politiker/innen wohl nicht in der Lage!

Es wäre wohl besser für uns Alle, wenn wir die Gestaltung unseres Lebens selbst entscheiden!

 

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