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Mobilisierung
 

„Agenda Klassenkampf - wie lange hält der soziale Friede?“

Ein Feature von André Bochow

Hörprotokoll der Sendung vom 09. März 2005 bei HR2 – „Der Tag“. Aufgeschrieben von E. Hesse und R. Spitzer

Mentzer: Wir haben gehört, Protest der erfolgreichen Art, den hat es hierzulande tatsächlich schon gegeben und zwar vor gar nicht allzu langer Zeit. Liegt das revolutionäre Potential der Republik vielleicht im Osten? Das heißt dort, wo der soziale Kahlschlag am brutalsten vonstatten geht? André Bochow hat da so seine Zweifel.

Bochow:

„Die Revolution ist das Morgen schon im Heute, ist kein Bett und kein Thron für den Arsch zufriedener Leute“

So sang es einst eine in der DDR bekannte Rockgruppe Namens „Renft“. Die Band wurde relativ zügig verboten, die Revolution, die noch gar nicht ausgerufen war, zog sich in die Kleingärten zurück, und da blieb sie lange, lange Zeit. Das war in den 70-ern so um die ganze Biermann – Affären Zeit herum, und das war eine Zeit, in der es mal kurz in der DDR brodelte. Vorher gab es die Revolution 1953, ein unglückliches Beispiel, weil die russischen Panzer rechtzeitig das Scheitern verhinderten. 1968 waren die Panzer dann in Prag und die paar Leute, die das nicht in Ordnung fanden, landeten im Gefängnis.

Nachdem aber das Diktatorenteam in der DDR sich einigermaßen eingespielt hatte, verzichtete es weitestgehend darauf, politische Gegner erschießen zu lassen. Vielmehr setzte man eine variable Repressionsmaschine in Gang, die Knast, Berufsverbot und Ausweisung kombinierte. Vor allem Letzteres nahm in den 80-ern zu. Mit der Folge, dass große Teile der Intelligenzler in den Westen abwanderten und einer eventuellen Revolution nicht mehr zur Verfügung standen. Ein nicht unerheblicher Teil des verbliebenen Restes lebte in dem Wahn, dass System von Innen heraus reformieren zu können. Das klingt ein bisschen, wie der Marsch durch die Institutionen und das ist ihm nicht nur ein bisschen ähnlich.

Wie aber konnte es dann zur friedlichen Revolution 1989 kommen? Leider lautet die Antwort: Es hat gar keine Revolution gegeben! Wohl gab es sehr mutige Demonstranten, aber was war ihr Ziel? Erst sollte die Regierung auf das Volk hören, dann sollte die Regierung weg, und dann sollte – ach du liebes bisschen – was wollte man dann? Ruckzuck wollte das Volk westdeutsch leben und die Revolutionäre scharten sich um „Runde Tische“, bis sie irgendwann beiseite geschoben wurden. Das kommunistische System aber, die Diktatur, der Unterdrückungsapparat, alles das brach zusammen – einfach so. Nehmen wir nur die Stasi. Jahrzehnte hat sie sich auf den Tag X vorbereitet, hatte tonnenweise Spitzelakten angelegt, Gefangenenlager geplant, und als es soweit war, traten die Genossen beiseite, sagten: War alles nicht so gemeint und wir lieben Euch doch alle! Und das war’s dann auch. Der ganze Laden war so bankrott und marode, dass die Stasi manche Oppositionsparteien gleich selbst gründete. Man könnte sagen, irgendwie wurde mal wieder ein Volk um die Revolution betrogen – wenn es denn eine gewollt hätte.

Man kann aber aus der Angelegenheit etwas lernen: Vor dem Volk müssen sich die Mächtigen eigentlich nur dann fürchten, wenn sie selbst nicht mehr weiter wissen. Und soweit sind wir doch noch lange nicht – oder?

Zur Person:

André Bochow
Sender: Mitteldeutscher Rundfunk
Fachgebiet: Allround
Beruflicher Abschluss: Diplom-Westasienwissenschaftler/ Metallurge für Formgebung (Facharbeiter)

Berufliche Stationen:

1984-1989 Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin
1989-1994 festangestellter Redakteur, Reporter und Moderator bei DT64, MDR-Sputnik
ab 1995 freischaffender Redakteur bei Radio Brandenburg, RadioEINS, HR1, MDR-Kultur und anderen
2000-2003 Redakteur und Autor beim ORB-Fernsehen
ab Mai 2003 Hauptstadtkorrespondent beim MDR-Hörfunk

 

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