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Demokratie
 

Die V-Leute sind nützlich für die NPD und gefährlich für die Demokratie

Mit insgesamt rund 1.700 Teilnehmern (Polizeizahl) war die antifaschistische Gegenkundgebung in Bocholt am 8. 9. 07 gut besucht. (Die Nazis sollen nur 40 Personen gewesen sein.) Der Bochumer Historiker Wolfgang Dominik sprach für die VVN-BdA. Er ist Vorstandsmitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifastinnen und Antifaschisten Kreisvereinigung Bochum.

Der Wortlaut seiner Rede auf einer Veranstaltung von „Bocholt-stellt-sich-quer“ ( www.bocholt-stellt-sich-quer.de) zum Thema "NPD-Verbot jetzt":

Während mich der Anruf aus Bocholt erreichte, heute hier im Auftrag der VVN-BdA NRW einige Worte zu sagen, hatte ich meinen Bochumer Antifaschistischen Stadtrundgang organisiert von VHS in Zusammenarbeit mit der VVN-BdA gerade mal wieder in Arbeit.

Ich las gerade in Bochumer Dokumenten: In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 standen, obwohl es Mitternacht war, die Bochumer BürgerInnen dicht gedrängt in der Bochumer Innenstadt und sahen zu , wie der aktiv faschistische Teil der Bevölkerung die Synagoge in Brand steckte. Sie sahen auch ein dramatisches Schauspiel: Weil die Kuppel der Synagoge nicht recht brennen wollte, wurde eine Feuerwehrleiter wieder ausgefahren, und ein Feuerwehrmann kletterte mit einem Kanister Benzin über die Feuerwehrleiter zur Kuppel  hoch und schüttete das Benzin über die Kuppel und steckte es an. Danach brannte die Synagoge lichterloh. Die Zeitungen meldeten am nächsten Tag helle Begeisterung der Bochumer Bevölkerung.

Auf einer Stele, die heute in der Nähe des Ortes steht, an dem bis 1938 die Synagoge stand, steht geschrieben, dass Widerstand aus der Bevölkerung gegen irgendwelche antisemitischen, aber auch anderen rassistischen Aktionen z.B. in Bochum gegen Roma und Sinti nicht bekannt wurden.

Das war 1938.

Was war 1933? Das deutsche Großkapital hatte z.T. schon in den zwanziger Jahren die faschistische NSDAP gesponsert. Nach einem in der Wahlgeschichte relativ kurzem Aufstieg von einer sog. Splitterpartei zur alles beherrschenden Regierungspartei setzten die Faschisten sofort um, was sie versprochen hatten. Wo blieb der Widerstand beim Boykott jüdischer Geschäfte am 1.4.1933? Wie war das eigentlich  in Bocholt? Aus Bochum ist von Widerstand nichts bekannt – jetzt könnte ich fortfahren bis zur „Aktion 3“, Deutsche verwerten jüdisches Eigentum. Kaum waren die jüdischen MitbürgerInnen aus ihren Wohnungen vertrieben worden, schon wurde an sog. reinrassig arische Nachbarn das Eigentum der gerade Vertriebenen versteigert – alles unter Aufsicht ordentlicher Bochumer Finanzbeamter.

 Je länger die faschistische Propaganda dauert, desto intensiver werden die Inhalte offensichtlich geglaubt. Oder als Lehre aus der Geschichte: Je länger die NPD ihre verbrecherischen Parolen unter dem Deckmantel des Parteienprivilegs mit staatlichen Geldern, unseren Steuergeldern, verbreiten darf, desto mehr Menschen fallen auf ihre Propaganda rein.

 Warum erzähle ich das?

Ich bin Jahrgang 1944. Ich habe ab ihrer Gründung 1964 bewusst den Aufstieg der NPD erlebt. Ich habe erlebt, wie von der Seite veröffentlichter Meinung und von Seiten der jeweiligen Regierungen und vor allem von Polizei und Gerichten die NPD verharmlost wurde, wie immer wieder das auch gewalttätige Treiben von NPD-Anhängern als jugendlicher Übermut oder Alkoholhandlungen gewertet wurden, wie rechte Verbrechen oft als Dumme-Jungen –Streiche (so hat es Ralf Giordano mal ausgedrückt) hingestellt wurden. Das war für uns 68er auch nicht verwunderlich: Damals saßen in allen möglichen Ämtern bis hin zum Bundespräsidenten und Bundeskanzler noch Ex-Nazis in allen Ämtern. Die ungefähr 770 Richter des faschistischen Volksgerichtshofs haben nach 1951, als der Artikel 131 des Grundgesetzes faktisch die Wiedereinstellung aller ehemaligen treuen Diener des faschistischen Staats in den öffentlichen Dienst ermöglichte, alle wieder ihre Karrieren fortsetzen dürfen – falls sie nicht sofort nach 1945/46/47 schon wieder ihren Dienst in den  damaligen Westzonen antreten durften. Das galt genauso für Lehrer und Polizisten, für Geheimdienstler und  etwas später endgültig für die Militärs.

An die faschistische Vergangenheit zu erinnern, galt als äußerst unfein dem Land, in dem ich groß geworden bin. Das habe ich in der eigenen Familie, im Verwandtenkreis, von Lehrern und Hochschullehrern immer wieder bewusst erfahren können.

 Die NPD begleitete mich eigentlich immer – bis hin zu nächtlichen Terroranrufen. Natürlich hat sich da keiner mit NPD gemeldet, sondern nur mit „Hier spricht Adolf Hitler und du bist auch bald tot“ und ein paar wüster Beschimpfungen. Wer genau dahinter steckte , wurde natürlich von der Polizei nie aufgeklärt. Der zuständige Polizeikommissar riet mir, auf eigene Kosten eine Fangschaltung zu installieren und vor allem nach Anbruch der Dunkelheit besonders aufzupassen. Das war alles.

 Anfang 2001 wurde ein Verbotsantrag von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat beim Bundesverfassungsgericht gegen die NPD eingereicht. Hintergrund waren Aufsehen erregende Gewalttaten und vor allem ein Anschlag auf russische Juden in Düsseldorf und ein Brandanschlag auf die Synagoge in Düsseldorf wenige später. Das, was vorher so klar nur z.B. von der VVN-BdA gesagt wurde, „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“, wurde faktisch die Anschauung eines Teils der sog. rot-grünen Regierungskoalition. Organisierter Antisemitismus, organisierter Rassismus, organisierte Aufstachelung zu Hass und Gewalt gegen Minderheiten müssen verboten werden.

Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen! Aber: Bis dahin war die NPD eher in den Berichten des Verfassungsschutzes verharmlost worden! Jetzt sandte die Regierung also an alle Ämter den Auftrag, schnell belastendes Material zusammen zu suchen, um ein Verbot unterfüttern zu können. Dazu hätte man 40 Jahre lang Zeit gehabt!!

 Im Laufe des Verfahrens kamen dann immer mehr Details über die Zusammenarbeit von NPD und Verfassungsschutzämtern raus. Etwa 30 der 200 NPD-Vorstandsmitglieder waren Geheimdienstler, das Peinliche war nur, dass sie – nach Rolf Gössner – an Brandstiftung, Totschlag, Mordaufrufen, Waffenhandel, Gründung einer terroristischen Vereinigung direkt beteiligt waren. (Seit vorgestern kann man gerade wieder in den Zeitungen lesen, dass ein schwerkrimineller V-Mann des Verfassungsschutzes NRW aufgeflogen ist und 12 weitere V-Männer in Dortmund und Ostwestfalen enttarnt worden sind.) Die kriminellen Karrieren zahlreicher Verfassungsschützer hatten die Verfassungsschützer zum Teil des NPD-Problems gemacht und nicht ansatzweise zur Lösung des Problems beigetragen.

Im März 2003 wurde der NPD-Verbotsprozess eingestellt.

Die Konsequenz heute heißt eindeutig: V-Leute in der NPD sind nicht nur nutzlos, sondern auch schwer gefährlich. UnionspolitikerInnen und sog. ExpertInnen aus dem Schäuble-Ministerium warnen vor dem Risiko eines neuen Verbotsantrages, weil man ja dann die Geheimdienstler vorher abziehen müsse. Und ohne Geheimdienstler gäbe es ja keine Informationen aus den Führungsetagen der NPD. Ich mache hier keinerlei Parteipolitik, muss aber doch erwähnen, dass allein „Die Linke“ im Bundestag fragt, welche Informationen jemals von Verfassungsschützern gekommen sind? Jede Frau und jeder Mann hier, der lesen und hören kann, kann in der Parteipresse nachlesen, dass dort Rassismus, Antisemitismus und Aufrufe zu Gewalttaten öffentlich gepredigt werden! Jede Antifa-Gruppe hat auf lokaler Ebene mehr Informationen gesammelt als die Polizei und die Geheimdienste! Jede(r) , die (der) Nazi-Musik hört, hört die Aufrufe zu Verbrechen. Jeder, der die Neofaschisten-Seiten im Internet aufruft, weiß über alles Bescheid! Dazu braucht man keine Geheimdienste!

Die Geheimdienste haben je nach Regierungsauftrag über die NPD oft genug nur Oberflächlichkeiten, Halbwahrheiten und Ignoranz verbreitet und meist zur Verharmlosung der neofaschistischen Szene beigetragen. Geheimdienstler haben oft Desinformationen verbreitet und dafür noch viel Steuergeld erhalten, das wohl dann auch wieder der NPD zu gute kommt. Manche ExpertInnen haben schon gefragt, ob nicht die Geheimdienste die Hauptsponsoren der NPD sind, ohne die die NPD pleite wäre.

Ich muss noch einmal „Die Linke“ erwähnen: Sie hat vorgeschlagen, unabhängige NPD- und Neo-Nazi-Beobachtungsstellen einzurichten mit den finanziellen Mitteln, die jetzt die Geheimdienstler in der NPD verschlingen. Der entsprechende Antrag wurde im Bundestag allerdings abgelehnt: Das Geld, unsere Steuergelder, bekommt weiterhin der Verfassungsschutz, dessen Treiben in der NPD unkontrollierbar geworden ist – wie der 1. Verbotsprozess deutlich gezeigt hat.

Wir in der VVN-BdA haben immer und immer wieder den Artikel 139 des Grundgesetzes hervorgehoben – und das seit 1964. Der Artikel 139 des GG heißt „Befreiungsgesetz“ und beinhaltete, dass alle Rechtsvorschriften der Alliierten zur „Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus“ Bestandteil des GG sind. Danach sind neofaschistische Parteien und Organisationen verboten. Ihre Gründung, die Verbreitung ihrer Ideologien usw. sind unter Strafe zu stellen.

 Als Mitglied der VVN-BdA meine ich also, dass die NPD verboten werden muss. Ich weiß allerdings als Historiker, Soziologe und Psychologe, dass damit nicht die neofaschistische Gefahr beseitigt ist und plötzlich alle Neo-Nazis lammfromme Demokraten werden.

Aber ein neuer Verbotsantrag oder sogar ein Verbot kann politische Zeichen setzen. Ich zähle einige auf:

  1. Ein Verbot würde der NPD das Parteienprivileg entziehen, d.h. die NPD könnte die Möglichkeit zur Mitwirkung bei der politischen Willensbildung, die sie bisher für ihre menschenverachtende Politik und rassistische Propaganda nutzen kann, nicht mehr in Anspruch nehmen. Z.B. habe ich jahrelang mit einem NPD-Funktionär in einem Lehrerkollegium zusammen arbeiten müssen. Dieser NPD-Funktionär unterrichtete auch Geschichte. Bis zur seiner Pensionierung konnte der den Faschismus sehr viel anders als z.B. ich darstellen! Aber die NPD war eine ordentliche Partei! Einem NPD-Lehrer fuhr man deshalb nicht „an die Karre“. Oder: Die Schulkonferenz einer Erwachsenenbildungsstätte in Dortmund hatte 1990 beschlossen, einzuladen (!) zur Teilnahme  an einer Veranstaltung der „Gesellschaft für Christlich-jüdische Zusammenarbeit“ zum Thema: “ Was tun...? Der Schoß ist fruchtbar noch – Rechtsextremismus und Schulen.“  Es ging um die Republikaner damals, die in manchen Dortmunder Wahlbezirken zweistellige Wählerzahlen erhielten! Der Regierungspräsident in Arnsberg hat diese Einladung, selbst die Einladung zu einer Veranstaltung am Wochenende, als nicht in der Schulzeit, verboten, weil erwachsene Studierende zu einer Parteinahme gegen die Republikaner verführt werden könnten – das ist mit der politischen Neutralität der Schule unvereinbar! Im Prinzip ging es da auch um das Parteienprivileg.
  2. Jede NPD-Versammlung, Demonstration und ähnliches wäre eine Straftat und könnte geahndet werden. Dann würden die NPDler, die jetzt am Bocholter Bahnhof  im Schutz des Parteienprivilegs reden und demonstrieren, alle erst mal in den Knast gesteckt!
  3.  M.E. ganz wichtig: Die Partei NPD bekommt viele Millionen aus dem Steuertopf als Wahlkampfkosten erstattet. Diese Millionen würden zur Verbreitung ihrer Propaganda schon mal fehlen. Und damit der finanziellen Stabilisierung des neofaschistischen Spektrums zumindest einen gehörigen Schlag versetzen.
  4. Das Vermögen der Partei würde gemeinnützigen Organisationen zu gute kommen: Ich könnte mir das Geld bei der VVN-BdA gut angelegt vorstellen! (Aber das Bocholter Bündnis Bocholt-stellt-sich-quer soll natürlich auch berücksichtigt werden!).
  5. In manchen Bundesländern sitzt die NPD in Landtagen und anderen Gremien, bekommt staatlich finanzierte Landtagsabgeordnete, Wahlkreisbüros, Referenten und sonstige Gelder. Das widerspricht jeder antifaschistischen Arbeit.
  6. Eine dauernde verfassungswidrige Verletzung der Verfassung sowohl der Länder als des Bundes würde durch ein Verbot beendet.
  7. Die neofaschistischen Strukturen würden also insgesamt geschwächt, z.T. auch zerstört.
  8. Selbstverständlich müsste das alles begleitet werden durch eine intensive Aufklärung über den Faschismus, durch sozial-ökonomische Programme vor allem auch für die Regionen, in denen eine Faschisierung jetzt schon auf vollen Touren läuft.

 Das ist nicht die Lösung des Problems. Alle hier wissen, dass eine mörderische sozialdarwinistische neoliberale globalisierte kapitalistische Wirtschaft dafür sorgt, dass Menschen in aller Welt in Armut, Angst und Verzweiflung gestürzt werden. Neofaschistische Heilsprediger der NPD z.B. können dann, wir kennen das historische deutsche Beispiel, den Faschismus als Lösung propagieren.

Als Antifaschisten müssen wir uns – so denke ich – spreche damit aber nicht für alle in der VVN-BdA, immer um alternative wirtschaftliche Lösungen bemühen. Auch unter kapitalistischen Bedingungen sind z.B. ein Stopp des Sozialraubs, sinnvolle Beschäftigungsverhältnisse, Senkung der Rüstungs- und Kriegskosten, denkbar. Allein für die Bundeswehr in Afghanistan werden täglich 1,5 Millionen Euro ausgegeben! Ich könnte mir als Antifaschist und Anti-Militarist das Geld besser angelegt vorstellen. Es sind meine Steuergelder und eure hier natürlich auch!

Aber: Der Kapitalismus und in seinem Gefolge Krieg nach außen und Krieg nach innen kann nicht das Ende der Geschichte sein. Max Horkheimer hat in einem berühmten Aufsatz von 1938 gesagt, dass der, der vom Faschismus spricht und den Kapitalismus als Ursache verschweigt, auch nicht über den Faschismus reden sollte.

 Ich danke Ihnen und übermittle der heutigen Demonstration auch die Grüße der VVN-BdA NRW.

 

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