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Arbeit und Leben,
Grundsicherung
 

Hartz IV auf dem Prüfstand 

von Rainer Roth

Mühlheim 25.03.2007

Peter Hartz glaubt bis heute, dass die Gesellschaft der Arbeitslosigkeit den Garaus machen könne, wenn sie nur wollte. (FR 24.03.2007) Dass es nicht so ist, bedeutet nicht, dass er sich geirrt hätte, sondern dass der Wille zur Abschaffung der Arbeitslosigkeit bei allen Menschen nicht ausreichend vorhanden war. Hauptthema des Vortrags sind ein paar grundsätzliche Gedanken über den Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Hartz IV.

I) Zum Einfluss von Hartz IV auf die Entwicklung der Arbeitslosigkeit

- Konjunkturzyklen

"Arbeitslosigkeit sinkt im Rekordtempo," titelte die FTD. (01.03.2007) Ihr Chef stellte den größten Rückgang gegenüber einem Vorjahresmonat seit 1949 fest. Man spricht von Trendwende. Sie soll durch Hartz IV zustandegekommen sein.

"Der wirtschaftliche Aufschwung ist unser Aufschwung." sagte SPD-Chef Beck in BILD. "Erst die Reformen der Regierung unter Gerhard Schröder haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass wir wieder auf dem Weg nach oben sind." (FTD 20.03.2007)

Christenführer Söder meinte, auch CDU und CSU hätten diese Reformen im Bundesrat ermöglicht. Auch sie gehörten also zu den Architekten des Aufschwungs. Pofalla von der CDU dagegen erkannte, dass der Aufschwung deutsch ist und die Farben Schwarz-Rot-Gold trägt.

Fast möchte man sich vor so viel Beschränktheit verneigen. Die bürgerlichen Parteien mit ihrem Scheuklappenblick sehen überall die Handschrift der Politik, sowie Kardinäle und Bischöfe überall die Handschrift Gottes sehen.

Die Zeiten kommen noch, wo die Große Koalition auch den Frühlingsanfang für sich reklamieren wird.

In der Tat müssten Schröder und Merkel schon Götter sein, wenn sie die Wirtschaft beherrschen wollten. Götter können ja bekanntlich auch Blitze schleudern und Donner produzieren, warum nicht auch Aufschwünge? Gott hat ja schließlich nach christlicher Auffassung auch den Menschen selbst erschaffen.

Leider aber sind wir noch in einem Stadium der geschichtlichen Entwicklung, in dem Menschen von selbst geschaffenen ökonomischen Gesetzen beherrscht werden, die wie unbeherrschbare Naturgesetze wirken.

Die kapitalistische Wirtschaft bewegt sich in Zyklen. Sie kennt wie der Jahreszyklus den Herbst des Abschwungs, den Winter der Krise, den Frühling der Belebung und den Sommer des Aufschwungs.

Die Zyklen haben eine Länge von zur Zeit etwa 8-10 Jahren.

Der Sommer des Konjunkturzyklus ist dann erreicht, wenn die Industrieproduktion das Niveau des letzten Höhepunktes überschritten hat. Der Höhepunkt des letzten Aufschwungs war im Jahr 2000 erreicht.

Die Krise äußert sich im Gegensatz dazu darin, dass die Industrieproduktion gegenüber dem Höhepunkt des Aufschwungs fällt. Das war seit 2001 der Fall und dauerte bis zum Jahr 2003. Auch der Sachverständigenrat setzt die Krise, die er als "konjunkturelle Schwächephase" bezeichnet, von 2001 bis 2003 an. (Jahresgutachten des Sachverständigenrats 2004/2005, Wiesbaden 2004, 132)

2004 hatte die Industrieproduktion das Niveau von 2000 schon um 0,8 Prozent überschritten. 2005 war sie 3,7% höher als im Jahr 2000, im Jahr 2006 schon um 9,5%. (Monatsbericht der Deutschen Bundesbank, Februar 2007, 62*) Der Aufschwung hat also 2004 begonnen, 2005 und besonders 2006 an Fahrt zugelegt.

Der Konjunkturzyklus folgt dem "Naturgesetz", dass die Konkurrenz von Privateigentümern, die mit möglichst wenig Personal für unbekannte Märkte Waren produzieren und auf unbekannten Märkten Kapital anlegen, notwendigerweise Überproduktion von Waren und Kapital entstehen lassen muss.

Diese Überproduktion wird in Krisen mitsamt den Belegschaften, die die Überproduktion erzeugt haben, abgebaut. Die Profitraten fallen und mit ihnen Investitionen, Steuereinnahmen usw.. Das Lohnniveau wird mit Hilfe der Arbeitslosigkeit gedrückt. Der Produktionsapparat wird modernisiert, die schwächeren Unternehmen gehen zugrunde. Die Profitraten steigen wieder. Und irgendwann setzt aufgrund dieses Erneuerungsprozesses ein neuer Aufschwung ein, der einen höheren Bodensatz von ruinierten Unternehmern und arbeitslosen LohnarbeiterInnen hinterlässt. In jeder Krise wird der nächste Aufschwung vorbereitet. Und jeder Aufschwung bereitet seinerseits zielstrebig die nächste Überproduktionskrise vor.

Eine solche Wirtschaftsordnung, die periodisch zerstört, was sie vorher aufgebaut hat, ist ineffizient.

Und genau deshalb reden die Medienkonzerne und auch viele ihrer Zuschauer, Leser und Hörer besonders in Krisen lieber über faule Arbeitslose als über Krisen und ihre Ursachen. Sich über die Ursachen von Krisen größere Gedanken zu machen, kostet auch mehr Energie. Und man muss ja Energie sparen.

Viele glauben nicht, dass es einen Aufschwung gibt, weil sie nichts davon spüren. In der Tat: Das Niveau der Arbeitslosenunterstützungen ist auch im Aufschwung mit Hilfe von Hartz IV massiv gesenkt worden. Die Abschaffung der AlHi, die reale Senkung des Leistungsniveaus von Alg II gegenüber der Sozialhilfe, die Verkürzung der Bezugsdauer von Alg I führten in den entsprechenden Privathaushalten nicht zu einem persönlichen Aufschwung.

Die Nullrunden für RentnerInnen und die Erhöhung ihrer Abzüge führten zu Rentenkürzungen.

Und auch viele LohnarbeiterInnen spüren vom Aufschwung nichts. Die Nettolohn- und Gehaltssumme sank 2005 gegenüber 2004 und 2006 gegenüber 2005. (Monatsberichte DB Februar 2007, 67*) Die Reallöhne sind 2006 im Schnitt etwa 4,5% niedriger als 2000. Und das oft bei längeren Arbeitszeiten und einer massiven Intensivierung der Arbeit.

Der jetzige Aufschwung hat eine Besonderheit.

Es ist der erste konjunkturelle Aufschwung seit Gründung der BRD, in dem bisher sowohl das Niveau der Löhne als auch das der Sozialleistungen fällt.

Wenn aber Erwerbslose oder LohnarbeiterInnen daraus schließen, dass es auch insgesamt keinen Aufschwung geben würde, wirkt die Beschränktheit ihrer privaten Lebensverhältnisse auch auf ihr Denken. Nicht der Einzelne ist der Fixstern dieser Wirtschaftsordnung, sondern die Verwertung des Kapitals. Sie entscheidet über Aufschwung oder Krise. Konjunkturzyklen entwickeln sich unabhängig von der finanziellen Lage in Privathaushalten der LohnarbeiterInnen.

Man sollte deshalb nicht sagen, es gibt keinen Aufschwung, sondern: Das kapitalistische System in Deutschland befindet sich im Niedergang, wenn es selbst nach drei Jahre Aufschwung und seit langem nicht gesehenen Wachstumsraten nicht schafft, die Lage der LohnarbeiterInnen real etwas zu verbessern, seien sie beschäftigt, erwerbslos oder in Rente.

2007 könnte sich das allerdings teilweise ändern, wenn der Brass der Kolleginnen und Kollegen sich in entschlossenen Tarifkämpfen äußern kann. Doch die Lohnzurückhaltung, die die mit dem Kapital verbundenen, in den Gewerkschaftsführungen versammelten Aufsichtsräte an den Tag legen, wirkt auch hier in die entgegengesetzte Richtung.

Den Aufschwung abzustreiten, hat unter sogenannten Linken ferner gerade deshalb Nahrung, weil Beck, Merkel (Merkel-Faktor) und Stoiber den Aufschwung für sich beanspruchen. Der Aufschwung erscheint also, kombiniert mit der realen Verschlechterung der Lage der LohnarbeiterInnen als bloße Regierungspropaganda.

Aber die Lage ist nicht so einfach, dass das, was Vertreter des Kapitals sagen, immer falsch ist und das Gegenteil immer richtig.

II) Zum Einfluss der konjunkturellen Entwicklung auf die Arbeitslosigkeit

Wie entwickelt sich nun die Arbeitslosigkeit.

Vergleiche der Arbeitslosenzahlen der Monate des Jahres 2007 mit den Vorjahresmonaten sind wenig aussagekräftig. Sie zeigen nur, dass es einen Aufschwung gibt.

Das gleiche gilt für Jahresvergleiche. Die offiziell registrierte Arbeitslosigkeit ist 2006 auf 4.487 Mio. gegenüber 4.861 Mio. im Jahre 2005 gefallen. Nach Erwartungen der BA und von Müntefering soll sie 2007 auf rd. 4 Mio. sinken. Der Aufschwung hat also offensichtlich Einfluss auf den Arbeitsmarkt. Auch wenn es deutlich ist, dass die Verminderung der Arbeitslosenzahlen um 374.000 nicht mit der Steigerung der Zahl der Erwerbstätigen um 280.000 übereinstimmt. Mindestens 100.000 Arbeitslose sind in einem schwarzem Loch verschwunden.

Der Optimismus von Kapital und Regierung übertüncht aber, dass die langfristige Entwicklung eine andere Tendenz zeigt.

Entscheidend ist der Vergleich der Arbeitslosenzahlen des jetzigen Aufschwungs mit den Arbeitslosenzahlen des letzten Aufschwungs, insbesondere seinem Höhepunkt, also dem Jahr 2000.

Die offizielle Arbeitslosigkeit betrug im Jahr 2000 3.889. 2006 hatten wir also rd. 600.000 Arbeitslose mehr als im Aufschwungjahr 2000. Die Zunahme entfällt ausschließlich auf Westdeutschland. In Ostdeutschland sank die Zahl der Erwerbslosen leicht.

Selbst eine Senkung auf 4 Mio. würde noch nicht eine Umkehr der langfristigen Zunahme der Erwerbslosigkeit ankündigen.

Denn die nächste Krise wird vermutlich in zwei-drei Jahren einsetzen und die jetzige Euphorie wieder in den üblichen Katzenjammer verwandeln.

Die Hartz-Kommission plante 2002, also mitten in der Krise, die Halbierung der Arbeitslosigkeit bis Ende 2005. 2005 hatten wir aber statt der erhofften 2 Mio. Arbeitslosen 4,8 Mio. Arbeitslose. Wohlgemerkt, diese Kommission bestand nicht aus Schwachsinnigen, sondern überwiegend aus hochrangigen Vertretern von Konzernen, Banken und Unternehmensberatern. Sie überschätzten die Wirkung von Regierungen und damit auch ihre eigene maßlos. Sie gingen und gehen davon aus, dass Arbeitslosigkeit in erster Linie ein Problem der Arbeitsverwaltung und des politischen Willens sei und nicht des Wirtschaftssystems, das sie selbst als Vertreter des Kapitals in Gang halten. Deshalb auch die Illusion der Vollbeschäftigung, die vom Kapital und der DGB-Führung vertreten wird.

Sie glaubten, allein mit einem starken politischen Willen den Arbeitslosigkeits-Tsunami aus Krise und rasant steigender Produktivität bezwingen zu können. Sie glaubten, dass ihr Wille die Wirkung von Krisen, nämlich steigende Arbeitslosigkeit, völlig außer Kraft setzen könnte. Sie waren Idealisten und sind es immer noch. Seit drei Jahrzehnten begleiten Regierungen die unabhängig von ihnen wachsende Arbeitslosigkeit mit Plänen fort, die Arbeitslosigkeit zu halbieren usw.. Sie wissen eben nicht, in welcher Gesellschaft sie leben.

Andere naive Gemüter denken, die Arbeitslosigkeit sei auf mangelnden Arbeitswillen bzw. Faulheit zurückzuführen. Die langfristige Zunahme der Arbeitslosigkeit müsste demzufolge auf wachsende Faulheit zurückzuführen sein. Umgekehrt müsste die im Aufschwung sinkende Arbeitslosigkeit seit 2006 auf einem plötzlichen Wachstum des Fleißes beruhen.

Auch hier herrscht der Glaube, dass der Wille alles entscheidet. Nur von diesmal vom kurzsichtigen Standpunkt eines auf sich selbst beschränkten Lohnarbeiters aus.

Nicht der politische Wille der Herkulesse von Managern und Ministern, sondern seine Entsprechung auf der anderen Seite, der gigantische Arbeitswille von Arbeitslosen, kann also die Arbeitslosigkeit halbieren, vielleicht sogar beseitigen?

Jeder, der arbeiten will, findet auch Arbeit. Das wissen insbesondere Ältere über 50 und junge Erwachsene in Warteschleifen.

Die Gesamtentwicklung der Arbeitslosigkeit ist unter den heutigen Verhältnisse vom Willen sowohl des Kapitals, der Regierung als auch vom Willen der Erwerbslosen unabhängig.

Insgesamt wohlgemerkt, im Einzelfall natürlich nicht. Ob der Arbeitswille von Erwerbslosen zum Zuge kommt, hängt aber ausschließlich von den Möglichkeiten ab, die das Wirtschaftssystem bietet.

III) Abnehmende Möglichkeiten

Die Möglichkeiten, Lohnarbeit zu finden, nehmen mit der Entwicklung der Kapitalverwertung ab.

Die gestiegene Produktion kann aufgrund des technischen Fortschritts mit einer kleineren Belegschaft bewältigt werden, so dass nach Krisen in der Regel ein höherer Sockel an Arbeitslosen übrig bleibt als im vergangenen Zyklus. Dasselbe gilt aber auch für das Baugewerbe, das Bank- und Versicherungsgewerbe, Handel, Gastronomie usw..

2000 gab es z.B. in Bergbau und Verarbeitendem Gewerbe 6,37 Mio. Beschäftigte, 2006 waren es mit 5,9 Mio. rd. 500.000 weniger. (Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, Tab. IX bzw. X 6.)

2000 gab es insgesamt 35,23 Mio. Lohnabhängige, 2006 waren 500.000 weniger. (IAB-Kurzbericht 5/2007 vom 28.02.2007, 8)

Noch bedeutsamer ist der rasante Abbau von Vollzeit-Stellen. Auf dem Höhepunkt des letzten Aufschwungs, im Jahr 2000, waren es 25,650 Mio., 2006 nur noch 23,173 Mio. oder rd. 2,4 Mio. Vollzeitstellen weniger. Die Teilzeitbeschäftigung dagegen wuchs von 9,579 Mio. auf 11,5 Mio. ebenfalls um 2 Mio.. Es ist also immer weniger möglich, seine Lebenshaltungskosten aus Lohnarbeit in vollem Umfang zu bestreiten.

Das Arbeitsstunden von vollzeitbeschäftigten Lohnabhängigen waren 2006 um 3,2 Mrd. Stunden oder 7,6% geringer als im Jahr 2000 und damit im Aufschwung noch erheblich geringer als in der Krise 2001-2003.

Vollzeitbeschäftigung wiederum wird in wachsendem Maße in prekären Arbeitsverhältnissen abgewickelt, als befristete Arbeit (insbesondere bei Jugendlichen) bzw. als Leiharbeit. Die Installation der PSA's, von denen inzwischen niemand mehr spricht, war mit der Befreiung der Leiharbeit von allen Beschränkungen verbunden. Heute klagt selbst die IG Metall darüber, dass Leiharbeiter immer mehr auch zur Stammbelegschaft werden. Betriebe, in denen 30% der Beschäftigten Leiharbeiter sind, sind nicht selten.

Triebkräfte der sinkenden Nachfrage nach Lohnarbeit sind u.a. der rasante technische Fortschritt, die maximale Ausdünnung der Belegschaften in allen Bereichen, um höhere Profitraten bzw. Kosteneinsparungen zu erzielen, die sprunghaft gestiegenen Fusionen, die zum Abbau von Doppelstrukturen führen usw. (z.B. Bayer-Schering usw.). Das alles unter dem wachsenden Druck von Fonds und institutionellen Kapitalanlegern. Die Kehrseite des wachsenden Überschusses an Arbeitskräften ist nämlich der wachsende Überschuss an Kapital. 2007 werden der deutschen Fondsbranche 500 Mrd. Euro mehr zugeflossen sein als in letzten Jahr der Krise, also 2003. Die sog. Investoren wollen Cash sehen. Das erhöht den Druck, mit noch weniger Arbeitskraft noch höhere Renditen zu erwirtschaften und fördert damit den Arbeitskräfteüberschuss.

Das alles bedeutet, dass die Chancen für einen wachsenden Teil der Erwerbspersonen langfristig abnehmen und selbst im Aufschwung kaum zunehmen. Genau diese Lage haben wir jetzt. 2006 gab es 50.000 mehr Arbeitslose im SGB II-Bezug als 2005, während die Zahl der SGB III-Arbeitslosen um 427.000 abnahm. 2007 werden 2/3 der Arbeitslosen langzeitarbeitslos sein. 1973 waren es erst 8,5%.

Das zur wachsenden Faulheit. Sich in der Langzeitarbeitslosigkeit einzurichten, ist eine Notwendigkeit, die hauptsächlich vom sinkenden Interesse des Kapitals an Arbeitskraft erzwungen wird.

Die große Mehrheit der Hartz IV-Empfänger hat keine bzw. keine dauerhafte Chance auf dem 1. Arbeitsmarkt.

2005 gab es insgesamt 5,2 Mio. erwerbslose Alg II-BezieherInnen. (Jahresdurchschnitt plus Abgänge im Laufe des Jahres. (IABKurzbericht Nr. 2007, 4) 563.000 oder 10,8% von ihnen fanden eine Stelle auf dem 1. Arbeitsmarkt.

2006 gab es insgesamt 5,88 Mio. arbeitslose Alg II-BezieherInnen. 800.000 oder 13,6% von ihnen fanden eine Stelle auf dem 1.Arbeitsmarkt.

Daraus geht hervor, dass das allgemeine Ziel der Eingliederung der Langzeitarbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt, das die Hartz-Parteien mit dem SGB II vorgaukeln, eine Fata Morgana ist.

Erst recht gilt das für die EinEurojobs, die jetzt in "soziale Arbeitsgelegenheiten" umgetauft worden sind, nachdem sich der Begriff Zusatzjobs nicht bewährt hat.

Hier ist die sog. Eingliederungsquote noch geringer, als die allgemeine Eingliederungsquote der Hartz IVer.

Insgesamt etwas über eine Million SGB II-Arbeitslose jährlich dagegen durchliefen 2005 und 2006 je zur Hälfte entweder Maßnahmen des 2. Arbeitsmarkts (darunter EinEuroJobs) oder Weiterbildungs- und Trainingsmaßnahmen und fielen in dieser Zeit aus der Arbeitslosenstatistik heraus.

Sie gelten als Abgänge aus der Arbeitslosigkeit, obwohl sie doch nur ein Teil der Stillen Reserve der Arbeitslosigkeit sind.

Der §1 Satz 1 des SGB II lautet:" Die Grundsicherung für Arbeitssuchende soll die Eigenverantwortung von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, stärken und dazu beitragen, dass sie ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln bestreiten können."

Die Maßnahmen des 2. Arbeitsmarkts machen Erwerbslose nicht von Alg II unabhängig, ebenso wenig Trainingsmaßnahmen und Weiterbildungen. Die meisten TeilnehmerInnen kehren nach Beendigung der Maßnahmen wieder in den SGB II-Bezug als Erwerbslose zurück. Die Möglichkeiten mögen im Einzelfall zunehmen.

Letztlich aber ist entscheidend, ob der sog. erste Arbeitsmarkt Stellen zu Löhnen anbietet, mit denen man unabhängig von Hartz IV leben kann und ob diese Stellen zugänglich ist.

Wie wenig die Eingliederung insgesamt (d.h. abgesehen von noch so vielen Einzelfällen) funktioniert, zeigt die Tatsache, dass im Aufschwungjahr 2005 mehr Personen aus dem 1. Arbeitsmarkt in den Hartz IV-Bezug kamen, als umgekehrt aus dem Hartz IV-Bezug in den 1. Arbeitsmarkt. Auch 2006 standen den 800.000 Abgängen immerhin noch 705.000 Zugänge gegenüber. Es findet also im Wesentlichen in Bezug auf den sog. 1. Arbeitsmarkt ein Austausch statt, der keinen natürlich Abbau oder nur einen geringen Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit ermöglicht. Der eine geht, der andere kommt. Auf einem allerdings wesentlich höheren Niveau ist das auch bei den Arbeitslosengeld I-BezieherInnen der Fall.

Die 2006 um 240.000 gewachsene Zahl der auf den 1.Arbeitsmarkt abgegangenen Alg II-Bezieher ist allerdings insgesamt kein Ergebnis irgendeines Förderns oder Forderns, sondern einfach ein Ergebnis eines kräftigen konjunkturellen Aufschwungs, der 2006 auch ein bißchen auf die Alg II-Bezieher abgefärbt hat.

Allerdings ist diese Einschätzung unvollständig. Können die in die Freiheit des Arbeitsmarktes Entlassenen wirklich unabhängig von Alg II leben? Hierüber gibt es keine Untersuchungen. Der Zweck des SGB II wird nicht überprüft.

M.E. bezieht ein bedeutender Teil der ehemals arbeitslosen Alg II-Bezieher Alg II weiter, allerdings jetzt als erwerbstätiger Alg II-Bezieher. Anfang 2005 gab es 287.000 Personen, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren und ergänzendes Alg II bezogen, darunter 201.000 Vollzeitbeschäftigte. Im Juni 2006 waren es schon 560.000, also doppelt so viele. Darunter waren 410.000 Vollzeit-Beschäftigte. (FTD 01.03.2007) Dabei muss man berücksichtigen, dass nur jeder Dritte Erwerbstätige, der Alg II-Ansprüche geltend machen kann, es auch tatsächlich tut. So eine Untersuchung von Irene Becker.

Im Ausbau der Kombilohn-Funktion besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen der früheren Sozialhilfe und dem Alg II.

Denn 2004, den letzten Jahr der Sozialhilfe für Erwerbsfähige, gab es nur etwa 60-80.000 Vollzeitbeschäftigte, die ergänzende Sozialhilfe bezogen.

Die Unternehmen zahlen in wachsendem Maße auch bei Vollzeitarbeit Löhne weit unterhalb des Existenzminimums. Das erzwingt staatliche Lohnsubventionen, damit sich die Arbeitskräfte überhaupt noch reproduzieren können. Lohnarbeit macht in wachsendem Maße nicht unabhängig vom Alg II-Bezug. (Selbstständigkeit allerdings auch nicht.)

Als Lohnsubvention zur Verbilligung der Ware Arbeitskraft ist Hartz IV durchaus erfolgreich. Das Fördern gewinnt hier eine ganz andere Bedeutung. Es geht nicht in erster Linie darum, Hartz IV-Empfänger fit für den Arbeitsmarkt zu machen, sondern Unternehmen zu ermöglichen Hungerlöhne zu zahlen und sich die Arbeitskräfte mit staatlicher Hilfe aufpäppeln zu lassen.

Diese Funktion wird gerade von der sozialdemokratisch-christlichen Koalition mit Zustimmung der DGB-Führung ausbaut, in dem die Freibeträge für Vollzeitbeschäftige erhöht und für Teilzeitbeschäftigte gesenkt werden. Die demagogische Begründung von Müntefering und Glos lautet, dass die angeblich großzügigen Freibeträge für Minijobber, die Langzeitarbeitslosen dazu verführten, sich in der Arbeitslosigkeit einzurichten, statt Vollzeitstellen anzunehmen.

In Wirklichkeit ist es so, dass das Desinteresse des Kapitals an der Verwertung eines wachsenden Teils der erwerbsfähigen Bevölkerung immer mehr Menschen langzeitarbeitslos macht und sie dazu zwingt, sich in dieser bescheidenen Lage einzurichten.

Die Möglichkeit, Vollzeitstellen zu bekommen sinkt, weil das Kapital sie abbaut und teilweise durch den Ausbau von Teilzeitarbeit, geringfügiger Arbeit und sogenannter Selbstständigkeit ersetzt. Bestes Beispiel von den Hartz IV-Parteien betriebene Liberalisierung des Postmarktes.

Die übliche Hetze gegen zu faule Arbeitslose lenkt davon ab, dass die Subventionen für Vollzeitbeschäftigung massiv ausgebaut werden sollen. Das fördert das Streben des Kapitals, die Löhne noch weiter unter das Existenzminimum zu senken.

Diejenigen, denen man jeden Anreiz für geringfügige Beschäftigung nimmt, in dem man ihnen bis 400 euro alles bis auf 40 euro abnimmt, werden in die Schwarzarbeit gezwungen. Das freut wiederum die vielen Unternehmer, die Schwarzarbeit brauchen wie das tägliche Brot. Denn Schwarzarbeit ist ja eine Alternative zu Minijobs, die ja noch mit Abgaben und Pauschalsteuern belastet sind.

Fördern heißt auf jeden Fall: die Kapitalverwertung mit Lohnsubventionen fördern.

In bezug auf EinEuroJobs heißt es im Wesentlichen, notwendige Arbeiten bei Kommunen und Wohlfahrtsverbänden dadurch zu finanzieren, dass man Arbeitskräfte befristet für Alg II arbeiten lässt. So können Personalkosten gespart und die bitteren Folgen der neu beschlossenen Gewinnsteuersenkungen (zunächst 8 Mrd. Euro - nur Bund?) teilweise aufgefangen werden.

Es gibt aber noch andere Formen des Förderns, die mit Hartz IV erheblich ausgebaut worden sind.

a) Vertreibung aus dem Bezug.

"Außerdem trägt die intensivere Betreuung durch die Arbeitsagenturen sowie die Überprüfung der Arbeitsbereitschaft dazu bei, dass Personen ihre Arbeitslosmeldung nicht aufrechterhalten und sich in die stille Reserve im engeren Sinn oder ganz vom Arbeitsmarkt zurückziehen." (IABKurzbericht, 4)

2005 verabschiedeten sich 850.000 Erwerbslose in die Nicht-Erwerbstätigkeit oder sonstiges. 2006 waren es schon 1.2 Mio. 350.000 Personen mehr. Ein Erfolg des Förderns oder der Verdrängung aus dem Bezug.

Beispiele dafür: EinEuroJobs als "Testjobs" zur Überprüfung der Arbeitsbereitschaft. (DIHK) Hamburg EinEuroJobs - Leitfaden

intensivere Betreuung:

Sanktionen ausbauen, Druck erhöhen bzw. Leistungen illegal verweigern. z.B. Missbrauchskiste fördern, Faulenzervorwürfe usw..

b) "Eigenverantwortung" durch gesetzliche Rechtsbrüche erzwingen

(Bedarfsgemeinschaft) Bleibt straflos. das ist was neues.

c) Eigenverantwortung durch v.a. indirekte Regelsatzkürzungen erzwingen. "Das Niveau der Lohnersatzleistungen muss reduziert werden, oder es müssen die Bedingungen für den Anspruch auf diese Leistungen verschärft werden." (Walter PNP 02.08.2006)

Interesse des Kapitals.

Kleines Beispiel: Kontogebühren. Behauptete Bedarfsdeckung, obwohl nicht gedeckt. usw..

Angemessenheitskriterien bei Mieten, Heizung.

Senkung der Regelsätze für Schulkinder. Nicht mal Schulmaterialen mehr. SG Berlin.

d) Abschreckende Gestaltung der Behörde, getarnt als Kundenfreundlichkeit

* Ausbildung des Personals schlecht. Viele nur befristet.

* Software Scheiße

* Überlastung des Personals

* keine Erreichbarkeit

Folge haufenweise Fehler, die Widersprüche und Klagen erzwingen.

Gleichzeitig der Versuch, den Widerspruch dagegen zu behindern oder zu verhindern.

Gebühren, Überlastung der Sozialgerichte, Ausdünnung der unabhängigen Beratungen

Letztlich ist die Botschaft an die wachsende Zahl der Langzeitarbeitslosen, die Betreuungskunden. Wenn wir euch nicht für Billigarbeit brauchen können, sollt ihr billiger abgeschrieben werden und euch gleichzeitig nicht als Abgeschriebene wohlfühlen, weil ihr euch nicht einrichten dürft.

Dennoch: Hartz IV ist noch nicht das, was das Kapital sich wünscht.

Den grundsätzlichen Standpunkt des Kapitals brachte neulich die Redaktion der Zeitschrift Capital schonungslos zu Ausdruck. Sie gehört zum Bertelsmannkonzern, dessen Inhaber, die Bertelsmann-Stiftung, die Bundesregierung auch bei Hartz IV maßgeblich beraten hat und berät.

"Bei Lichte besehen stellen die Hartz IV-Empfänger die größte Gruppe der Kapitalisten in Deutschland. Das zeigt ein Blick auf eine Familie mit zwei Kindern, die von Arbeitslosengeld II lebt und damit pro Jahr durchschnittlich 21.600 Euro bezieht. (1.800 Euro im Monat) Wer dieses Einkommens (vor Steuern) auf dem Finanzmarkt erzielen möchte, braucht mindestens 540.000 Euro Kapital, wenn man eine realistische Rendite von vier Prozent zugrundelegt. Derzeit gibt es etwa zwei Millionen solcher Bedarfsgemeinschaften, die hochgerechnet zusammen die unvorstellbare Summe von 1.080 Milliarden Euro binden. ... Die immerhin 48 Steuermilliarden, die er (der Staat) den Bürgern in diesem Jahr dafür entziehen muss, verhindern, dass ein Kapitalstock in dieser Größenordnung gebildet ... wird. ... Jeder Hartz IV- Empfänger konsumiert das Geld, das eigentlich für den Aufbau neuer Arbeitsplätze notwendig wäre." (capital 23/2006)

Mit unsäglichen Schmerzen sehen die Vertreter des Kapitals, dass Eltern und die Kinder, die von Hartz IV leben, Steuergelder verkonsumieren und diese damit ihrer sinnvolleren Bestimmung entzogen werden, nämlich in Kapital verwandelt zu werden. Am liebsten würde das Kapital für Erwerbsfähige gar nichts zahlen, wie es seit dem Mittelalter bis zum Ende des 19.Jahrhunderts üblich war.

Das Interesse an arbeitslosen Eltern und ihren Kindern ist gleich Null. Sie vernichten Kapital, statt Kapital zu vermehren. Hass und Verachtung prägen das Gefühlsleben der Schreiberlinge des Kapitals, nicht soziale Verantwortung oder Solidarität.

Auf dem Weg zu diesem Ziel, das ja in den USA schon weitgehend verwirklicht ist, verlangen die Arbeitgeberverbände wenigstens massive Regelsatzkürzungen und zumindest die Christenparteien wollen das auch. Das umzusetzen aber kann sich die Große Koalition bisher nicht leisten, weil ihr dann der Wind noch stärker um die Ohren wehen würde, als beim Widerstand gegen Hartz IV bisher. Keine Kürzung, obwohl nach der Systematik Juli 2006 der RS hätte gekürzt werden müssen.

Sogar Erhöhung im Osten.

Heute für uns mehrere Ziele im Mittelpunkt:

Einmal der Kampf gegen Regelsatzkürzungen, hervorgerufen durch angemessenheitskriterien bei Wohnungsmieten und heizung, die unerfüllbar sind.

Kampf gegen die Senkung der Regelsätze für Schulkinder.

Erhöhung des Regelsatzes auf mindestens 500 Euro, damit man mehr als 3,79 Euro am Tag für Essen und Trinken zur Verfügung hat.

Abschaffung der unter dem Bruch des BGB erfolgten Ausdehnung der Bedarfsgemeinschaften auf nicht unterhaltspflichtige bzw. nur nicht gesteigert unterhaltspflichtige Personen.

Abschaffung der EinEuroJobs, statt dessen gesetzliche Mindestlöhne von mindestens zehn Euro brutto.

Ausbau unabhängiger Sozialberatung und bessere Ausbildung und Entlastung für die Beschäftigten der Arbeitslosenbehörden.

Strafrechtliche Verfolgung von Rechtsbrüchen durch Behörden, damit sich der Bruch von Gesetzen nicht länger finanziell lohnt!

Allgemein: die soziale Bewegung müsste herausarbeiten und propagieren, dass nicht die Erwerbslosen bzw. die Lohnabhängigen an Arbeitslosigkeit schuld sind, sondern das auf Profitraten beschränkte Interesse des Kapitals an der Entfaltung und Nutzung der ungeheueren Energien, die Menschen besitzen können. Hartz IV dagegen zermürbt und zermahlt, um die Kapitalverwertung zu fördern.

 

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