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Der Rentner- eine Bedrohung für den Sozialstaat?

Ein Beitrag von Dr. Jürgen Schmidt-Zinges

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Eine beispiellose Kampagne gegen einen Teil der Bevölkerung, der sich nicht mehr wehren kann und keine Lobby hat, hat 2003 unter dem Stichwort Rentenreform eingesetzt. Geschickt wurde ein Generationenkonflikt inszeniert: Jung gegen Alt. Der Tenor dieser Kampagne lautet, die physische Existenz der Rentner gefährdet durch die an sie zu erfolgenden Transferleistungen die Existenz des (Sozial-)Staates. Hierbei wurden die Rentner als eine Bevölkerungsgruppe angesehen, mit der, da wirtschaftlich wertlos weil nur noch Ressourcen verbrauchend, nach Belieben verfahren werden kann. Vertrauensschutz braucht nicht zu gelten, Gesetze können nach Kassenlage täglich geändert werden und den Rentnern können immer größere finanzielle Lasten aufgebürdet werden..

Die Rente ist sicher.

Dieses galt nach dem Kriegsende 1945, dies galt nach Meinung der Bevölkerung aber auch in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik als die Bonner Republik noch Reste preußischer Tugenden wie Zuverlässigkeit, Fleiß und Unbestechlichkeit aufwies. All dies ist im Laufe der Jahrzehnte verschwunden. „Die Rente ist sicher“ verkam zu einem leeren, verlogenen Wortgeklingel der Parteien. Dabei war es vornehmlich der Staat in Form der ihn tragenden Parteien selber und einer ihm ergebenen Gerichtsbarkeit (1), die für das Leeren der Rentenkassen durch unverantwortliche Leistungszusagen zuständig waren. Der Staat wollte sich durch Umverteilungen bei den Rentenzahlungen von einer ihm lästigen Verpflichtung, nämlich der Sozialhilfe für ältere bedürftige Bürger, auf Kosten der Rentenversicherer befreien. Dieses Ziel der Umschichtungen in den Rentenkassen war anfangs klar und ist leider aus den Augen verloren worden. Es begann bereits mit der Rentenreform von 1957 (2)(Generationenvertrag) welche die Rente zur Lohnersatzleistung erhob. Ihre Finanzierung, die von einem Teil der Fachwelt bereits damals als langfristig nicht machbar angesehen wurde, konnte nur noch durch das Umlageverfahren erfolgen. Sie brachte nicht nur Vorteile für die Rentner wie die Bruttolohn bezogene Rente, sondern auch Nachteile für die Einzahler hoher Beiträge. Mit anderen Worten: die Renten von Einzahlern hoher Beiträge wurden, wie der Spiegel seinerzeit schrieb, zugunsten derjenigen, die kaum Beiträge gezahlt hatten und dem Staat im Alter zur Last gefallen wären, geköpft. Nach der Wiedervereinigung stellte es sich heraus, daß das System so nicht mehr finanzierbar war. Mit den Rentenreformen von 1992 und 2001 wurden daher die Alterseinkünfte der Rentner schrittweise abgesenkt , zunächst auf 70% des durchschnittlichen Nettoeinkommens (Rentenreform 1992), dann auf ca. 64% (Rentenreform 2001.) Falls die 2003 diskutierten Reformen durchgeführt werden, muß mit einem Absinken der Nettolohn bezogenen Renten bis auf 50% gerechnet werden. Kaum Beachtung fand dabei noch das Haushaltssanierungsgesetz von 2000 (3), das den gesetzlich vorgesehenen Rentenanstieg halbierte.

Ein weiterer Zweig der sozialen Sicherungssysteme, die Krankenversicherung, greift ebenfalls tief in die Einkommen der Rentner hinein. War der Rentner zunächst von Beiträgen zur Krankenversicherung freigestellt, wurde im Haushaltsbegleitgesetz 1983 zur Entlastung der Rentenkassen festgelegt, daß er den gleichen prozentualen Beitrag wie ein aktiver Arbeitnehmer für die Gesundheitsicherung aufbringen muß. Die jüngst beschlossene Gesundheitsreform (2003) stellt darüber hinaus eine gewollte Benachteiligung der älteren Generation dar. Nicht nur, daß ihr Beitrag zur gesetzlichen Plegeversicherung jetzt doppelt so hoch ist wie jener der aktiv Beschäftigten, daß Betriebsrenten mit dem vollen Beitragssatz belastet werden, sondern man erwartet auch von ihr jetzt noch eine private Vorsorge für gestrichene Leistungen für Hilfs- und Heilmittel (z.B. Zahnersatz). Welche private Kasse versichert noch einen 70 jährigen Rentner ?

Weitere politisch motivierte Eingriffe in die Rentenkassen verschlechterten deren Lage. Man verpflichtete die Rentenkassen zu Leistungen, die nichts mehr mit Alterssicherung zu tun hatten, definierte ganze Bevölkerungsgruppen, die nie in die Kassen eingezahlt hatten, zu Leistungsempfängern. Der Gipfel des Mißbrauchs war 1990 erreicht, als die Wiedervereinigung im wesentlichen aus der Rentenkasse mitfinanziert wurde.

Rentenreformen hatte es schon Anfang der dreißiger Jahre, ebenfalls als Folge einer Wirtschaftskrise, gegeben. Interessant ist die Wirkung der damaligen Reformen.

A.Brunner (4) schreibt hierzu: „Die Renten/Pensionen wurden in den Jahren von 1930-1933 zum Teil drastisch gekürzt und in den Jahren zuvor eingeführte Leistungen etwa im Bereich der Kinderzuschüsse und Waisenrenten zurückgenommen. Der „Erfolg“ dieser Politik war, daß etwa in der Invalidenversicherung „die Rentenausgaben 1933 um knapp 20 Prozent niedriger als zwei Jahre zuvor waren. Und nicht nur das: Die Ausgaben konnten auch in den folgenden Jahren unter dem Stand von 1931 gehalten werden“ . Allerdings waren diese „Erfolge“ teuer erkauft um den Preis der neuerlichen Aushöhlung des Versicherungsprinzips in Richtung Fürsorgeleistungen und verfassungspolitisch bedenklicher Maßnahmen. Insgesamt trug diese Politik im Bereich der Sozialversicherung zur Destabilisierung der Weimarer Republik bei. „Die Beteuerungen der Präsidialkabinette, die verfügten Einschränkungen seien krisenbedingt und daher vorübergehend, mussten in dem Moment bei den betroffenen Bevölkerungsgruppen unglaubwürdig werden, als offen zutage trat, daß es sich eben nicht nur um ein „Krisenopfer“ handelte, sondern in den Notverordnungen nur die Spitze eines Eisbergs von reaktionären sozialpolitischen Tendenzen sichtbar wurde“. Das oben bereits erwähnte „Sanierungsgesetz“ vom 7.12.1933 war laut Klaus Teppe (5) trotz gegenteiliger Beteuerungen keineswegs ausgewogen, sondern bevorzugte die Arbeitgeber zuungunsten der Arbeitnehmer und Rentner und die Präferenzen der Regierung traten klar zutage: „Die Belebung der Wirtschaft besaß absolute Priorität, für die auch die Sozialversicherung ihren Preis zu zahlen hatte“ .“

W. Dobernack (6) begründete den Niedergang der Rentenversicherung. „Hätte man in den Jahren der wirtschaftlichen Scheinblüte die unerbittlichen Gesetze der Versicherungsmathematik mehr beachtet, so wären diese einschneidenden Sparmaßnahmen gar nicht oder nur in einem beschränkten Umfange nötig gewesen“

Daß die Rente sicher sei glaubte die heutige Rentnergeneration über viele Jahrzehnte, wurde doch die Rente selbst in den schwersten Nachkriegszeiten pünktlich gezahlt. Schmerzlich hatte sie aber nach 1945 erfahren müssen, daß ihre privaten Lebensversicherungen zu mehr als 90 Prozent vom Staat entwertet wurden. Und jetzt kommt Herr Riester und preist als ganz neue Idee die private Lebensversicherung als zusätzliche Altersvorsorge an. Es läßt sich heute schon absehen, wohin dies in diesem Staat in einer Krisensituation führt, sobald sich einmal ein Kapitalstock gebildet hat. Die Krankenkassen langen schon zu.

Im Glauben an die Seriosität der Rentenversicherung begannen in den fünfziger und sechziger Jahren nicht wenige junge Freiberufler freiwillig in die BFA einzuzahlen. Jetzt, bei Beginn der Rentenzahlungen, müssen sie feststellen, daß dies eine gigantische Fehlentscheidung war.

Die abenteuerlichsten Begründungen werden genannt, wenn es darum geht, den Rentnern die Erträge ihrer lebenslangen Arbeit zu schmälern. Bei der Gesundheitsreform 2003 heißt es, der Rentner muß den vollen Beitrag zur Pflegeversicherung zahlen, da er erst kurze Zeit eingezahlt hat Als Begründung für den von 27% auf 50% erhöhten, jährlich um 2% weiter steigenden, zu versteuernden Teiles der Rente kann dies nicht herhalten. Der Finanzminister relativiert diese geplante Verringerung des Nettoeinkommens der heutigen Rentner mit der Bemerkung, die erhöhte Versteuerung der Renten betreffe ja nur eine kleine Gruppe von ca. einer Million (!) Rentner. Diese Rentner mit den höheren Renten hatten aber mindestens 35 Jahre lang die Höchstbeiträge gezahlt. Das Wort Vertrauensschutz hört man im Zusammenhang mit Rentnern schon lange nicht mehr. Das Finanzministerium verschweigt dabei auch geflissentlich, daß diese Rentner in Zukunft ihre aus versteuertem Einkommen gebildete Altersversorgung noch einmal versteuern müssen. Hier ist zu hoffen, daß das BVerfG eingeschaltet wird. Aber auch ein positives Urteil im Sinne der Rentner würde, da erst in Jahren zu erwarten, viele heutige Rentner kaum noch tangieren. Ihre physische Existenz wäre lange vorher zu Ende. Doppelbesteuerung für Rentner, durchaus möglich, Vertrauensschutz nicht. Viele dieser Rentner, die von dieser erhöhten Besteuerung betroffen werden, mußten noch in ihrer Jugend für Volk und Vaterland in den Krieg ziehen. Nach dem Krieg haben sie mit den Aufbauleistungen für den wirtschaftlichen Aufschwung der Bundesrepublik gesorgt. Jetzt im hohen Alter gilt dies alles nicht mehr. Das Bundesfinanzministerium argumentierte weiterhin, daß ausreichende Freibeträge für die Rentner geschaffen werden um die geplante und künftige jährlich steigende Steuerbelastung für Rentner zu mildern. Aus jüngster leidvoller Vergangenheit weiß der Bürger jedoch wie dies zu werten ist. Führte die CDU Regierung für kleine Sparer Freibeträge für die Versteuerung von Zinseinkünften ein, wurden diese Freibeträge von der SPD Regierung sofort halbiert, und die CDU, siehe Herr Mertz, hat schon verkündet, sie würde diese Freibeträge nach einem Wahlsieg streichen. Vermutlich die SPD auch.

Die Rente ist nicht sicher .

Für die Jungen bestimmt nicht, ob mit oder ohne Riester. Das Ziel der Sozialreformer ist eindeutig, deckeln der Alterseinkünfte für Arbeitnehmer auf Sozialhilfeniveau, vornehm umschrieben als „Grundsicherung“. Dieser Weg wird bei den Arbeitslosen schon begonnen. So lange Sozialreformen nur von Reformern erarbeitet werden, die davon weder betroffen sind noch betroffen sein werden, ob sie nun Rürup oder Herzog heißen, bleiben sie Stückwerk. Erst eine notwendige Sozialreform die alle Bevölkerungsschichten gleichermaßen belastet, das heißt auch Politiker, Beamte und Selbständige, wird von der Mehrheit der Bevölkerung verstanden und auch mitgetragen. Hier hat die junge Generation, die auch eine Erbengeneration ist, es in der Hand sich zu profilieren. Eine Neiddiskussion zu Lasten eines Teils der Bevölkerung, die sich nicht mehr wehren kann und auch keine Lobby hat, bringt das Land nicht weiter.

Die fehlende Akzeptanz für notwendige Reformen hat noch einen weiteren Grund: eine fehlende ehrliche Aufklärung über die Kassenlage. Dazu gehört nicht nur, daß man dem Bürger sagt die Kassen seien leer, sondern auch wo das Geld geblieben ist. Bislang stellt der Bürger mit Verbitterung fest, daß z.B. zur Sanierung der Krankenversicherungen hauptsächlich Arbeitnehmer, Arbeitslose und Rentner als Leistungsbezieher und nicht die Leistungserbringer durch Reformen belastet werden. Und dies wird noch als „ausgewogen“ angepriesen.

Sowohl das wirtschaftliche Umfeld als auch die hohe Arbeitslosigkeit erinnern an die Probleme am Anfang der dreißiger Jahre. Auch das Vorgehen der Regierung Brüning in den Jahren 1931 und 1932 ähnelt dem Vorgehen der Regierung Schröder im Jahr 2003/2004: Drastische Einschnitte bei den Sozialausgaben für Arbeiternehmer , Arbeitslose und Rentner. Es läutete damals das Ende der Weimarer Republik ein, diesmal vermutlich das Ende der sozialdemokratischen Regierung der Bundesrepublik. Damals führte es zum Erstarken des Nationalsozialismus, weil sie einen Weg aus dem Elend versprach. Heute bereits befürchten renomierte Wissenschaftler Unruhen, falls sich die wirtschaftliche Lage breiter Bevölkerungsschichten weiter so dramatisch verschlechtert.

Ob Rentenreform, Gesundheitsreform oder Steuerreform, die Rentner werden mit immer höheren Abgaben belastet deren Kumulierung selbst Rürup, dem Sozialexperten der Regierung, bedenklich erscheint. Als Begründung gilt, daß die Rentner nicht Opfer von Reformen, sondern eigentlich die Täter sind, die den (Sozial-)Staat infolge ihrer höheren Lebenserwartung ruinieren. Man kann allen Rentnern daher nur empfehlen, bei den kommenden Wahlen teilzunehmen ,sich genau zu informieren und zu überlegen, welche Partei auch ihre Interessen vertritt. Zur Zeit muß man leider feststellen: der Rentner gilt in Deutschland aus der Sicht des politischen Establishments auf Grund seiner physischen Existenz als eine Bedrohung für den Sozialstaat . Solange er es nicht schafft sich politisch zu organisieren, wird das auch so bleiben.

Die Rente, so hoch wie die Sozialhilfe, ist fast sicher.

(1) Anm: Damit meine ich die Sozialgerichte, die in einer Art vorauseilendem Gehorsam für einen üppig wuchernden Leistungskatalog sorgten.
(2) R. Berthold, Uni Giessen, Projekt Sozialversicherung , 2003
(3) J. Steffen , Uni Bremen , Die Anpassung der Renten , 2002
(4) A. Brunner ,Die Krisen der deutschen Rentenversicherung in der ersten Hälfte des 20.Jahrhundert, 2001
(5) K. Teppe, Zur Sozialpolitik des Dritten Reiches am Beispiel der Sozialversicherung, in: Archiv für Sozialgeschichte, hrsg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Verbindung mit dem Institut für Sozialgeschichte Braunschweig,-Bonn, Band 27, Bonn-Bad Godesberg, 1977
(6) R.Dobernack, Die Finanzlage der deutschen sozialen Rentenversicherungen, in: Zeitschrift für die gesamte Versicherungs-Wissenschaft, Band 33, Berlin 1933

 


 

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